Die literarische Velomesse

Velomessen sind eine Auslegeordnung des Vorhandenen und demnächst Erhältlichen auf dem Markt des Zweirads. Sie kurbeln die Lust auf mehr an. Genau so verhält es sich mit der Sammlung «Sattelfest. Die besten Radgeschichten», die der Piper Verlag diesen Sommer herausgebracht hat; im Mai in erster und bereits im Juli in zweiter Auflage.

Ob es wirklich die besten Geschichten sind, wie das deutsche Magazin Trekking Bike in seiner Juli-Ausgabe gefragt hat, darüber lässt sich gewiss streiten. Wie viele fein abgestufte Gänge das Velo in der Literatur hat, belegen die gut 300 Seiten allemal. Während im ersten Teil Zeitgenossinnen und -genossen über Ausschnitte ihrer Abenteuer rund um den Erdball erzählen, gibt der zweite Ausschnitte aus Romanen und Betrachtungen wieder, in denen das Velociped eine Rolle spielt.

Die Entbehrungen, die manche Weltenpedalierer auf sich nehmen, sind beeindruckend. Berührender sind für mich Begegnungen am Wegrand, wie sie beispielsweise Bettina Selby auf ihrer Pilgerfahrt auf dem Jakobsweg erlebt. Sie trifft dabei ein deutsches Ehepaar; er ein erfolgreicher Geschäftsmann, aber schwer krank und wohl auf seiner letzten Reise. Bettina, deren Sohn ebenfalls als Weltenbummler und Gelegenheits-Geldverdiener sein Leben geniesst, erwartet von Geschäftsmann Dirk, dass er diese Lebensweise, wenn nicht verurteile, so doch zumindest geringschätze. Stattdessen meint Dirk «ganz ernst» zu ihr, sie, Bettina, solle sich glücklich schätzen, ein solches Kind grossgezogen zu haben.

Weniger in die Sammlung passen Geschichten, in denen das Velo nur am Rand eine Rolle spielt. Régine Deforges ‚«Eine Menge Verehrer» und «Das Leben ist schön» von Roberto Benigni und Vincenzo Cerami (erfolgreich verfilmt) führen in Kriegszeiten zurück – traurige Ausflüge, auf denen die Reisenden bestimmt lieber auf einem anderen Verkehrsmittel unterwegs gewesen wären.

Dagegen wünscht man sich, es würde mehr Menschenvolk sein Velo so sehr lieben wie Henry Miller seinen «besten Freund», wie der Schriftsteller sein Bahnrad in «Mein Fahrrad und andere Freunde» nennt. Das Leben würde um einiges ruhiger seine Bahn ziehen.

Auch ein Papst fährt zwischendurch Rad

Weil ihm die verkehrspolitische Bedeutung des Radfahrens – neben diesem selbst – der wichtigste Gesichtspunkt ist, haben der Velofahrer die Überlegungen von Christian Ude, Oberbürgermeister von München, am besten gefallen. Der Chefradler der bayrischen Hauptstadt ist ein derart überzeugter Pedalierer, dass er darüber schon vielbeachtet publiziert hat. Nachdem er, beispielsweise, eines schönen Tages den Kritikerpapst der «Süddeutschen Zeitung» auf dem Radweg überholt hat, hadert er mit deren Redaktion: «Warum», fragt sich Herr Ude, «lassen sie ihn nur über Musik und Theater schreiben und nicht über Verkehrspolitik?»

Die Antwort darauf liefert das Büchlein nicht, dafür stürzt sich Oberbürgermeister wagemutig noch tiefer ins Getümmel, für ihn ein Überlebenstraining, dessen Erlebniswert jeden teuer bezahlten Survival-Trip übertrifft. Christian Udes Fazit: «Können wir Leute in Spitzenpositionen gebrauchen, die zu kleinmütig sind, ihr Leben den Gesetzen des Strassenverkehrs auszuliefern, die zu ängstlich sind, eine Innenstadt radelnd zu durchqueren, die unfähig sind, eine Radtour zu planen? Natürlich nicht. Lasst endlich die Radler ran, diese knallharten Männer mit den stählernen Nerven!»

Damit hat er, im Prinzip recht. Bloss, die Tatsache allein, dass Ueli Maurer, SVP, Verteidigungsminister dieses Landes, mit dem Velo ins Bundeshaus fährt, macht seinesgleichen natürlich noch lange nicht wählbar.

Sattelfest. Die besten Radgeschichten. Piper Verlag, München. 2. Auflage, Juli 2010, ISBN 978-3-492-403384-9, Fr. 22.90. Mehr unter www.piper-verlag.de/malik/

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