Velohelm-Diskussion in Deutschland

Der deutsche Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer liebäugelt  mit der Helmpflicht für Velofahrer. Seine Haltung: Entweder sie tragen jetzt freiwillig einen Fahrradhelm. Oder der Gesetzgeber zwingt sie bald dazu.

Spiegel online schreibt am 18. Oktober 2011 zu dem Thema (gekürzt): Der Erfolg des Fahrrades bringt auch eine Menge Probleme: Die Zahl der Unfälle mit schweren oder gar tödlichen Verletzungen ist weiterhin alarmierend hoch. Für Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) ist das nicht hinnehmbar – und er weiss auch genau, wessen Aufgabe es ist, für Abhilfe zu sorgen. Die Radfahrer… sollen sie von sich aus mit Helm fahren – oder die Bundesregierung macht den Kopfschutz zur Pflicht. «Wenn sich die Helmtragequote von neun Prozent nicht signifikant auf weit über 50 Prozent erhöht in den kommenden Jahren, dann muss man fast zu einer Helmpflicht kommen» sagte Ramsauer.

Derzeit benutzt laut Ramsauer nicht einmal jeder Zehnte einen Kopfschutz. Angesichts der häufigen Kopfverletzungen wachse der Druck, sich über die Helmpflicht Gedanken zu machen. Diese könne sonst auch von der EU kommen, warnte der CSU-Politiker. Nötig seien jedoch zunächst deutlich mehr Aufklärung und freiwillige Bereitschaft zum Helmtragen, sagte Ramsauer. Es bereite ihm große Sorge, dass etwa jeder zweite tödliche Fahrradunfall auf schwere Kopfverletzungen zurückgehe.

Nach Daten des Statistischen Bundesamts kamen im vergangenen Jahr in Deutschland 381 Fahrradfahrer ums Leben nach 462 im Jahr zuvor. Der Hintergrund des Rückgangs ist allerdings kein Grund zur Entwarnung, denn wegen des relativ kalten und nassen Wetters waren wesentlich weniger Radler unterwegs. Insgesamt hat der Radverkehr in den vergangenen zehn Jahren stark zugenommen. In Berlin stieg er beispielsweise um gut 30 Prozent.

Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) lehnt eine Helmpflicht ab. Dies führte dazu, dass weniger Menschen das Rad nutzten und damit «alles noch gefährlicher wird», sagte eine Sprecherin.  Der ADFC befürchtet, dass die Pflicht eher die Gefährdung erhöhen wird, weil viele sich dann wieder ins Auto setzten. «Mit dem Zwang zum Helm wird die Verantwortung für Unfälle zudem auf die gefährdeten Radfahrer abgewälzt», kritisierte der ADFC. Bei vielen Unfällen helfe auch kein Helm. Wichtiger sei daher Tempo 30 in Wohngebieten.

Gesamtbilanz könnte negativ ausfallen

«Spiegel»-Redaktor Holger Dahmbeck doppelte am 19. Oktoberunter dem Titel «Warum eine Helmpflicht Radlern wenig hilft» nach. Er glaubt, die Gesamtbilanz eines Kopfschutzzwanges könnte negativ ausfallen. Zitat: «Denn in der Folge könnte die Radnutzung zurückgehen. Wenn derzeit nur einer von zehn deutschen Radfahrern einen Helm aufsetzt, was machen dann die neun ohne Schutz, wenn die Pflicht kommt? Einige werden widerwillig zum Helm greifen, einige werden weiter ohne fahren – und ein großer Teil wird womöglich wieder aufs Auto umsteigen.  Wenn aber die Radnutzung sinkt, dann sinken auch die positiven gesundheitlichen Effekte des Radfahrens für die Gesellschaft. Wer täglich radelt, stärkt Herz und Kreislauf und bleibt länger fit. Eine umfassende Analyse der Folgen der Helmpflicht muss dies berücksichtigen.»

Ramsauer weist sodann darauf hin, was auch des Velofahrers Meinung ist: Vor allem bei der Infrastruktur bestehe gewaltiger Nachholbedarf. Kaum einen Meter breite Velostreifen reichten nicht aus, wenn immer mehr Menschen aufs Velo stiegen. Viele der Konflikte zwischen Velofahrern, Fußgängern und Autofahrern gehen letztlich auf schlecht ausgebaute Velowege zurück. Städte und Gemeinden, aber auch der Bund hätten den Veloboom schlicht verschlafen.

Eine Übersicht über die Velohelmdebatte in der Schweiz gibt es hier auf der Website v0n Pro Velo. Die Lobby für das Velo begrüsst das Massnahmenpaket «via sicura» des Bundes im Grundsatz, wendet sich aber – Zitat – kategorisch gegen die Helmtragepflicht für Kinder und Jugendliche. Ein Obligatorium sei überflüssig und nicht durchsetzbar. Helmobligatorien führten zu einem Rückgang der Velonutzung. Dies hätte verschiedene ausländische Studien gezeigt. Je weniger Velofahrende aber auf der Strasse unterwegs sind, desto gefährlicher sei es für diese.

Medienmitteilung der Pro Velo vom 23. Februar 2010 zum Massnahmenpaket «via sicura».

Besser die Veloverbindungen sicherer machen

Im Grunde ist es wiedermal so verkehrt wie einfach: Für Autofahrer gefährliche Stellen werden in der Regel flugs entschärft, um Unfälle zu vermeiden. Niemand stellt das in Frage. Oder aber verlangt von den Autoherstellern, sie müssten für die Karrosserien dickeres Blech verwenden. Velofahrende müssen ungleich grössere Anstrengungen unternehmen, wenn sie erreichen wollen, dass der Staat ihnen Verbindungen bereitstellt, auf denen sie möglichst gefahrlos unterwegs sein können. Die Velohelmdiskussion lenkt von diesem Dauer-Missstand elegant ab. Auf der Facebook-Seite gegen das Velohelm-Obligatorium fasst ein Kommentator es so zusammen: «Es geht darum: Wenn die Strasse gefährlicher wird, gibt es zwei Lösungsmöglichkeiten: A: Die Velofahrer (und vielleicht bald auch die Fussgänger) müssen einen Helm tragen. Oder B: Die Strasse wird wieder weniger gefährlich. Ich bin für die zweite Lösung.»

Der Velofahrer auch.

Artikelbild: http://www.flickr.com/photos/twicepix/

Helm ja, aber bitte freiwillig: PolitikerInnen vor dem Bundeshaus anlässlich der Aktion «Bike to work» 2011. (Bild: Pro Velo Schweiz)
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