Solange Herr Winter uns beim Radeln noch klamme Finger beschert, begeben wir uns diesbezüglich besser südwärts. Einer, der dies auf sportliche Weise getan hat, ist Hardy Grüne. Der deutsche Journalist und Autor fuhr 2013 die Tour d’Afrique, das längste Radrennen der Welt. Dieses führt über 12’000 Kilometer von Kairo nach Kapstadt und dauert vier Monate, von Mitte Januar bis Mitte Mai. Darüber, seinen Lebensraum, hat Grüne ein Buch geschrieben.
Die Tour d´Afrique durchquert seit 2003 Afrika von Nord nach Süd in etwa 120 Renn- und einigen Pausentagen. Es ist ein Rennen für Selbstversorger. Der Veranstalter beschränkt sich auf Streckenkennzeichnung, Zeitnahme, Notfallhilfe und die Organisation der Lagerplätze.
Grünes Buch hinterlässt bei mir einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits las ich es in einem Zug durch, denn das Abenteuer packte mich ebenso wie den Autor, der viel von sich preisgibt, sein Stil ist persönlich und unverblümt. Anderseits kann Afrika nicht kennenlernen, wer während vier Monaten durch diesen Kontinent prescht (und es geht nicht anders bei durchschnittlich 100 Kilometern pro Tag) und danach ein glaubwürdiges Bild dazu zeichnen.
Was Grüne beschreibt, muss der Leser/die Leserin durch die Brille des gehetzten Abenteurers betrachten: Er sieht dadurch zwar unvergleichliche Landschaften, erlebt spannende Begegnungen und sieht sich in unvorstellbare Welten entführt. Aber es bleibt das Empfinden, dabei ein Eindringling zu sein, der mit seinen Möglichkeiten die Menschen, die er besucht, oft überfährt und anderseits von deren Reaktion überfordert wird. Was soll man davon halten, wenn Grüne beschreibt, wie der Tourbus, auf dem die Teilnehmer ihr Gepäck transportieren lassen (sie fahren mit leichten Rädern und kaum Gepäck), im Nirgendwo hält und Einheimische den Pedalierern im Zeltdorf aus Neugier beinahe auf die Zehen treten? Oder äthiopische Kinder sie mit Steinwürfen traktieren?
Zehn Minuten für 800 Meter
Hardy Grüne wird sich zwar schon nach wenigen Tagen gewahr, dass er sich «Zeit für das Abenteuer» nehmen muss, er kämpft mit seinem «Wohlstandsego» und stellt oft zu spät fest, mal wieder «wie blind durch Afrika» zu rasen, «immer in Eile, selten entspannt, wenig bereit, anzuhalten und aufzunehmen». Doch die Tour d’Afrique ist und bleibt ein Rennen – auch für jene, die nicht den Energie aufbringen, jeden Meter im Sattel zu fahren. Grüne kann sich deshalb nicht auskoppeln; er ärgert sich, wenn ihn eine Panne aufhält («Gut 20 Minuten hat mich meine Blödheit gekostet.»), er brüstet sich damit, eine Reifenpanne in nur zehn Minuten zu beheben und nervt sich einmal, für knapp 800 Meter zehn Minuten gebraucht zu haben.
Soll man aus diesen Gründen Hardy Grünes Buch nicht lesen? Keineswegs. Es ist spannender als so viele Velotourenbücher, deren Verfasser die Anzahl der von ihnen gefahrenen Kilometer schon im Titel als das offenbar bemerkenswerteste Ding ihrer Tour hervorheben. Grünes Tour d’Afrique-Tagebuch ist anders, weil der Autor auch über sich selbst schreibt, weil seine Reiseart – siehe oben – zum Nachdenken und Nachschlagen anregt. Das lohnt die Lektüre.
Ob sich auch die rund 14’000 Euro Teilnahmegebühr für die Tour d’Afrique lohnen (die persönlichen Auslagen unterwegs nicht inbegriffen), ist eine andere Frage.
Die aktuelle Tour läuft noch bis Mitte Mai. Hier auf dieser Seite sind die Blogs der Teilnehmerinnen und Teilnehmer verlinkt.
[blue_box]Hardy Grüne, «Tour d’Afrique. 12′ 000 Kilometer Radrennen von Kairo nach Kapstadt», 1. Auflage 2013, 272 Seiten, 40 Farbfotos, 10 Karten, Format 13,5 x 21,5 cm, gebunden mit Schutzumschlag, Delius-Klasing-Verlag, ISBN 978-3-7688-5345-3, ca. Fr. 29.00[/blue_box]P.S.: Was der auch technisch interessierte Leser an Hardy Grünes Buch vermisst: Welche Ausrüstung hatte er dabei? Welche Ersatzteile und in welcher Menge? Und weshalb entschied er sich für ein Rad mit Kettenschaltung und nicht mit Rohloff?