«Veloevolution» oder: das Buch zu einer «genialen Erfindung»

Auf meinem Büchergestell hats einen Meter Geschriebenes zum Thema Velo. Plus einen Lineal hoch Karten sowie einen Stapel Prospekte und Kataloge. Neuerdings ragt ein Buch aus dieser Sammlung heraus. In zweierlei Hinsicht: Der Fotoband «Veloevolution – Fahrradgeschichte, Entwicklung, Design, Hintergründe» von Florian Freund fällt erstens mit seinen 30 Zentimetern Breite auf, zweitens hat er dies aber überaus verdient. Verlegerin Maxi Kutschera ist damit ein Werk gelungen, das der Freund und die Freundin schöner Fahrräder einfach haben muss. (Oder: auch noch haben muss.)

In «Veloevolution» zeichnet Autor Florian Freund die Entwicklung des Fahrrades von den Anfängen bis in die 1980er-Jahre fundiert nach. Doch nicht in erster Linie deswegen bereitet dieser Band viel Freude; vielmehr tut er dies der vielen Bilder wegen, die Florian Freund selbst inszeniert hat. Damit ist eine eigentlich traurige Geschichte verbunden. Dem Fahrradmuseum «Stahlrad» von Siegfried Stahl in Rechberghausen – das liegt zwischen Stuttgart und Ulm – wurden 2011 die Räume gekündigt. Das Gebäude, in dem sich das Museum befand, wurde mittlerweile abgerissen. Die Gemeinde Rechberghausen hatte kein Interesse am Fortbestand des Museums. Siegfried Stahls Versuche, eine andere Gemeinde zu finden, blieben erfolglos. Die Sammlung wurde in der Folge auseinandergerissen und viele Objekte befinden sich gar nicht mehr in Deutschland.

Faszinierende technische Lösungen von damals

Florian Freund hat für «Veloevolution» 43 Exponate der ehemaligen Sammlung Stahl ausgewählt, welche die Zeit aus den Anfängen bis in die 1980er-Jahre reichen. In den Details der Modelle, die er ins Licht rückt, liegt der besondere Reiz dieses Bands. Die Bilder zeigen technische Lösungen aus früherer Zeit, die mit ihrer Raffinesse, Eleganz und schlichten Schönheit verblüffen. Das Modell Passe-Partout etwa, entstanden um 1890 in Frankreich, weist eine Hinterradfederung auf, die Grundanlage von mancher an heutigen Mountainbikes eigentlich gar nicht unterscheidet. Oder der Halbrenner aus den 1910er-Jahren, hergestellt von der Firma F. Seiferlein in Dinkelsbühl: Er würde sich heute an jedem «Bike Lovers Contest» hervorragend machen.

Wie schreibt doch Paul Fournel in seinen Erzählungen «Die Liebe zum Fahrrad»: «Das Fahrrad ist eine geniale Erfindung. An jenem Tag im 19. Jahrhundert, als Michaux das Veloziped dank Kette und Tretkurbel fahrtauglich machte, erlangte es im Prinzip seine endgültige Form. Seitdem wird zwar am Material getüftelt und an allerlei Details gefeilt, doch in der Sache bleibt es dasselbe.»

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Der Autor Florian Freund lebt und arbeitet in München. Er wollte mit «Veloevolution» einen neuen Standard in der Dokumentation von Museumsobjekten (insbesondere von Fahrzeugen) setzen. Nach bestem Wissen notiert er zu jedem der abgelichteten Fahrräder, welche Teile original sind und welche im Lauf der Zeit ersetzt, ergänzt, restauriert werden mussten. Denn, so schreibt Freund: «Niemand käme heute noch bei der Rekonstruktion einer antiken griechischen Vase auf die Idee, Fehlstellen der Malerei imitierend zu ergänzen. In der Geschichte der musealen Restaurierung von Fahrzeugen und Flugzeugen sieht das anders aus. So stehen in vielen Museen Autos, deren Farbgebung sich eher am persönlichen Geschmack der Restauratoren, als an historischen Fakten orientiert. Immer noch werden bei Flugzeugen mehr als die Hälfte der Teile nachgebaut und die Ausstellungsbesucher hierüber meist im Unklaren gelassen.»

Herzflattern

«Veloevolution», ein weiterer Wurf aus dem Fahrrad-Verlag der Leipzigerin und Wahlbernerin Maxi Kutschera (siehe Interview unten), freut nicht nur jene, «die sich gern mit ihrem Rad schmücken, die das Fahrrad als Lifestyle-Objekt betrachten und beim Anblick eines eleganten Stahl-Rennrad-Rahmens Herzflattern kriegen», wie die Verlegerin selbst sagt. Es ist, beispielsweise, auch das ideale Geschenk für den velophilen Grossvater, der seinem Enkel, seiner Enkelin, bei einem Plauderstündchen Technik von damals vor Auge führen will. (Ich gebs zu, meine Vorstellung war der Vater dieses Satzes; ich seh‘ mich schon selbst dereinst mit solch einem Buch im Sofa sitzen. Wobei ich doch sehr hoffe, meinen allfälligen Nach-Nachkommen das Radeln vor allem in seiner praktischen Erprobung beliebt machen zu können.)

[blue_box]Florian Freund, «Veloevolution – Fahrradgeschichte, Entwicklung, Design, Hintergründe», Verlag Maxi Kutschera, 2014, Fadenheftung, Hardcover, 120 Seiten, 30 x 22 cm, ISBN 978-3-931965-26-6, ca. Fr. 30.00; www.maxime-verlag.de[/blue_box]
Maxi Kutschera.
Maxi Kutschera.

Der Maxime-Verlag ist ein Leipziger Verlag, der sich für Fahrradgeschichte, Technik und Kultur engagiert. Maxi Kutschera, 44, hat ihn 1995 gegründet; seit acht Jahren lebt sie ihn Bern. Der Velofahrer hat ihr einige Fragen gestellt.Woher rührt Deine Veloaffinität und -begeisterung?
Maxi Kutschera:
Ich fahre schon immer Rad, das Fahrrad entspricht meinem Lebensgefühl wie kein anderes Fortbewegungsmittel. Für mich steht das Fahrrad für die unbegrenzte Freiheit, anzuhalten wo ich will, zu flüchten wenn es mir irgendwo nicht gefällt. Ich kann damit schlendern, kann damit richtig «Gas geben», kann angepasst fahren, kann frech sein…, ich kann darauf mit den Haaren wedeln oder auch fahren, bis ich alle Muskeln spüre.
Wenn ich auf dem Rad sitze, fühle ich mich wie ein Fohlen in der Frühlingssonne, dass ständig die herumstehenden Eltern zum Galopp und zum Wettlauf anstacheln will. Das kann ich mit dem Auto alles nicht tun – beziehungsweise ich hätte längst keinen Führerschein mehr.

Welche Räder fährst Du?

Ich fahre ein Snaix, wenn ich meinen Körper, meine Elastizität und meine Geschicklichkeit fühlen will. Das ist, wie auf einem Ball zu tanzen. Man muss man den Kopf frei haben und unverkrampft wie ein Kind sein, um sich auf die ständig neue instabile Lage einzustellen.
Ich fahre auch gern Radtouren – mit minimalistischem Gepäck. Auch dahinter steckt eigentlich nichts weiter als dieser Freiheitsgedanke. Ich «gurke» auch gern mit dem Rad durch die City, um das Leben zu inhalieren. Früher hatte ich fünf Räder: zwei historische für entsprechende Ausfahrten, ein ranziges abgerüstetes grosses Damenrad, ein totschickes Retrovelo und ein hochbeiniges Herrentourenrad. Heute, nach meinem Umzug in die Schweiz, besitze ich nur noch das Snaix und das Tourenrad. Der Grund dafür ist einfach, mir genügt es zur Zeit (obgleich ich schon wieder mit einen schrillfarbenen Fixi liebäugele) und die Garage ist voll mit Rädern von meinem Mann und meinem Sohn – das ist der reinste Fahrrad-Zoo.

Du bist aus Leipzig nach Bern gezogen. Wie fällt der Vergleich hinsichtlich Velofreundlichkeit aus?

Ja, die Schweiz ist ein Veloland – das sagt hier jeder, und man sieht hier in Bern auch überall Velos und Velofahrer. Aber – doch jetzt muss ich mich vorsichtig ausdrücken, um nicht in alle bereitgestellten Fettnäpfe zu treten – zumindest in Leipzig fährt man entspannter als in Bern. In Leipzig ist das Fahrrad eher ein Lifestyle-Objekt als hier in Bern, der Fahrer versteht sein Fahrrad als Teil seines Lebensgefühls, so wie man auch seine Handtasche zum Lebensgefühl passend auswählt, und da geht es nicht «hochwertige Komponenten». Frei nach dem Motto: Zeige mir dein Rad und ich sage Dir, was für ein Mensch zu bist.
Studenten fahren in Leipzig gern quietschgrüne Klappräder aus DDR-Zeiten (die dürfen dann gern auch klappern), andere bauen sich ein Diamant-Stahlrennrad-Rahmen zum Fixi um, streichen es gelb oder igeln den Lack ab für ein urbaneres Lebensgefühl. Urbanität ist überhaupt das Thema, für Urbanität ist einfach mehr Raum in Leipzig als in Bern vorhanden.
Mit einem nigelnagelneuen Katalog-Rad, das nichts Persönliches widerspiegelt, sondern nur ein Haufen Geld gekostet hat, wäre man in Leipzig eher fehlplatziert, keiner würde es bemerken. Wie schade um das viele Geld…

Welche Stadt punktet womit?

Bern hat mehr Rennradfahrer und viel mehr Helmträger, und es fahren auch viel mehr Menschen mit dem Rad zu Arbeit. Bern hat auch mehr E-Bike-Fahrer. In Leipzig fahren die Leute aus Spass und Freude mit ihrem Rad, sie tragen viel seltener einen Helm. Die meisten Strecken führen aber auch durch Parks und entlang des Flusses, da gibt es überhaupt keine Autos. Ich konnte in Leipzig mit meinem Kleinkind die Sieben-Kilometer-Strecke von der Wohnung bis zum Marktplatz allein durch Parks und Auwälder zurücklegen – der Zwerg brauchte weder Helm noch musste sich an andere Vorschriften halten. Dieses Freiheitsgefühl hat man in Leipzig viel eher als in Bern. Nie wurde ich von einem Autofahrer oder von einem anderen Fahrradfahrer bedrängt oder in Gefahr gebracht. Seit ich auf Berner Strassen unterwegs bin, kam dies allerdings schon einige Male vor. Die Leute fahren hier in Bern irgendwie unentspannter. Man muss vorsichtiger sein und… naja, ich bin kein Helm-Freund, aber einem Kind würde ich hier einen aufsetzen. Bern hat allerdings eine traumhafte Umgebung. Auf einer Abendtour kommt man von Bern aus schnell in eine abgelegene lauschige Landschaft mit oftmals phänomenalen Natureindrücken. Mountainbiker und Rennradfahrer kommen hier (im Gegensatz zu Leipzig) voll auf ihre Kosten, da hat Leipzig eigentlich nichts zu bieten.

Was vermissest Du in Bern allenfalls?

Ich vermisse die großzügigen Leipziger Parks, die für alles und jeden, für jung und alt gleichermassen, ein beliebter Treffpunkt sind. Die Leute sitzen an der Sachsenbrücke, schauen den Skatern zu und quatschen, im Parkcafé klimpert Musik, manche sonnen sich, Studenten machen im Park ihre Hausaufgaben, am Eiswagen drängeln sich die Muttis mit ihren Kindern, Hundebesitzer werfen Stöcke in den Fluss, andere füttern die Schwäne, eine Fahrrad-Cafébar hat Kaffeespezialitäten, Jongleure oder Trommler üben auf der Wiese, Slaklines sind gespannt, auf dem Fluss trainieren Ruderklubs, irgendwo brennt ein Grill, Kinder quieken, überall liegen die Fahrräder im Gras… Die Innenstadt von Leipzig scheint mir für Velofahrer viel entspannter zu sein, als die Innenstadt von Bern.

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