Mit der «petite reine» durch Burgund und Dombes

Die Franzosen nennen das Velo gerne «la petite reine» (*), die kleine Königin. Ein schönes Bild: Wir pedalieren mit unseren Rädern stolz durch die Lande; das Haupt erhoben, sind wir den minderen Automobilisten um Kopfhöhe überlegen. Allein, sucht man danach, wie les Français dieser «petite reine» huldigen, finden sich wenig Beispiele dafür. Will heissen: Le vélo ist in Frankreich immer noch und vorab ein Fortbewegungsmittel, dessen man sich in der Freizeit bedient. Dieses Fazit ziehen wir nach zwei Wochen Veloferien im Burgund und in den Dombes, unterwegs gewesen von Dijon nach Lyon.

Abwertend sei dies nun keineswegs gemeint, vielmehr feststellend. Denn la voyage war magnifique und merveilleuse. Dort freilich, wo der Franzos‘ mit dem Auto hinkommen will, setzt er sich mit Verve vor Velocipedisten und Fussgängern durch; er hält kaum freiwillig vor Fussgängerstreifen, verdrängt Unmotorisierte auf Schmalspurtrottoirs und zwingt das Radlervolk mitunter, mit seiner kleinen Königin über halbmeterhohe Absätze ins Sichere zu flüchten.

In den Weinbergen zwischen Beaune und Mersault.
In den Weinbergen zwischen Beaune und Mersault.

Fusstiefe Schachtdeckel auf Velostreifen

Nun, das ist einerseits übertrieben, im Grundsatz zweitens aber zutreffend und drittens zuständigenorts von der Politik als Problem erkannt, weshalb dieselbe da und dort dem Langsamverkehr inzwischen angenehm Platz einzuräumen beginnt. Gewiss, selbst auf neuen Kreiseln enden Velostreifen nicht selten im Nirgendwo. Und auf Radstreifen ist auf fusstiefe Schachtdeckel zu achten. Aber die Einfahrt nach Lyon, zum Beispiel, verdient das Prädikat vorzüglich und ist hier das Gondeln der Rhone entlang bis zu deren Zusammenfluss mit der Saône ein Genuss. Anderseits: Viel Volk bewegt sich nicht auf zwei Rädern in dieser Stadt (und anderen, die wir auf unserer Reise gequert haben). Denn diese Gleichung führt noch immer zum gleichen Ergebnis: Wo das Velo nur (oder erst) eine Randnotiz in der Verkehrspolitik ist, wagt sich niemand in den Sattel. Ein Zweites, was wir auch vergangenes Jahr schon in Bayern erlebt haben: Velotouristisch wunderbarste Etappen enden des Abends oft mit velobezogen unfreundlichen Empfängen in der Stadt. Da werden Chancen verpasst.

Nun aber genug der Rüffelei. Car, wie schon erwähnt, unsere diesjährige Tour war en tout cas eine Freude. Die Strässchen entlang von Känälen wie dem Canal de Bourgogne oder Canal du Centre sind fürwahr Perlen im Portefeuille des Velobummlers. Oder der Voie-verte-Abschnitt zwischen zwischen Chalon-sur-Saône und Mâcon, der auf vielen Kilometern auf einer stillgelegten Bahntrassee und – spannend! – durch den anderthalb Kilometer langen Tunnel du Bois Clair führt: Da jubelt des Radlers Seele, zumal es unterwegs viel Sehenswertes gibt. Zum Beispiel die alte Abteistadt Cluny. Oder, etwas abseits der Route, das wundersame Musée du Vélo in Tournus. (Darauf wird noch zurückzukommen sein).

Begegnung unterwegs im Burgund im Sommer 2015: Zita und Arpi aus Ungarn, unterwegs auf einer vierjährigen Hochzeitsreise.
Begegnung unterwegs im Burgund im Sommer 2015: Zita und Arpi aus Ungarn, unterwegs auf einer vierjährigen Hochzeitsreise.

Vier Jahre auf Hochzeitsreise

Darüber hinaus: Auch dieses Jahr haben Begegnungen unsere Reise geprägt und bleiben scheinbare Marginalien davon in Erinnerungen. Im TGV von Basel nach Dijon etwa lernen wir Marianne kennen, die unteregs nach Irland ist und dort zwei Monate lang die Insel umrunden wird. Anderntagsen kreuzen Zita and Árpi aus Ungarn unsern Weg, die nach einer vierjährigen Hochzeitsreise mit ihren Liegerädern im September wieder in Budapest einrollen werden. Es kam, unter anderem, zu einer Fachsimpelei über meine Pinion-Schaltung und wir wurden gefragt, ob es in der Scheiz auch Lidl-Läden gebe. Nach so langer Reise herrschte im Portemonnaie der beiden eben nahezu Ebbe. Oder: Da war noch Dick, der protestantische Pfarrer aus Holland, unser Nachbar auf dem Zeltplatz in Cluny. Er erzählte uns mit so viel Liebe und Überzeugung von Taizé erzählte, dass wir das nächste Mal dort länger Einkehr halten werden. Die Communauté von Taizé liegt zehn Kilometer vor Cluny und ist bekannt durch ihre ökumenischen Jugendtreffen. Bei unserer Stippvisite kamen wir uns als ü50er in diesem Gewusel tausender junger Menschen allerdings ein bisschen deplaziert vor und pedalten nach einer Runde durch die Camps weiter.
Zum Stichwort Marginalie noch: Schon mal über Luftpolsterfolie gefahren? So ungefähr fühlt sich der Untergrund an, enn bei über 30 Grad der Asphalt weich wird. Es knallt leis‘ bei jeder Pedalumdrehung. Ein-klimatisiert im Auto ist sowas natürlich nicht zu erleben.

Inzwischen sind die Schlafsäcke wieder ausgelüftet und das Zelt hat sein Plätzchen im Kellergestell wieder. Wir sind um Erinnerungen reicher und freuen uns auf den Abend nächste Woche, an dem wir mit der Tandem fahrenden Nachbarin darüber austauschen werden. Und, natürlich, Pläne schmieden fürs nächste Jahr.

Tour-Zusammenfassung: Gut 500 km; von Dijon über eine Schlaufe westwärts der Ouche bzw. dem Canal de Bourgogne nach Beaune, durch die Weinberge nach Chagny, weiter nach Chalon-sur-Saône, Tournus, Cormatin und Cluny nach Mâcon und von hier weiter durch das Seengebiet der Dombes bis Perouges und nach Lyon. Ab hier fährt stündlich ein Zug in knapp zwei Stunden nach Genf mit kostenloser Velomitnahme. Bis Dijon fuhren wir ebenfalls mit dem Zug; im TGV gibts einige wenige Veloplätze, die man reservieren kann. Als Karten eignen sich die grünen IGN-Blätter im Massstab 1:100’000 gut.

(*) Für die Bezeichnung «La petite reine» gibt es mehrere Erklärungen. Meine liebste: Die holländische Königin Wilhelmina (1880-1962) soll sich als eine der ersten adligen Geschlechts auf dem Velociped verlustiert haben.

 

Einsam, ruhig, schön: Landschaft in den Dombes, dem Seengebiet südwestlich von Genf.
Einsam, ruhig, schön: Landschaft in den Dombes, dem Seengebiet südwestlich von Genf.

Weitere Bilder zu dieser Tour finden sich hier.

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