Der Bundesrat will Velo fahren, aber die Kantone treten lassen

Velofahren ist eine gute Sache, findet der Bundesrat. Es entstopft die Strassen, stellt er fest, macht die Luft nicht dreckig, senkt den Energieverbrauch und ist gesund. Es sei deshalb «grundsätzlich sinnvoll und zweckmässig», sich für mehr Velowege einzusetzen. Mit diesem Bekenntnis hat er seinen angekündigten Gegenentwurf zur Veloinitiative in die Vernehmlassung geschickt; der nächste Schritt, seit die Initiative im März eingereicht wurde.

Das klingt gut. Muss aber nicht auch Wirkung haben. Denn der Bundesrat will statt der zwingenden Formulierung der Initiative eine unverbindliche Kann-Vorschrift. Die Velo-Initiative verlangt:

  • [Der Bund] fördert und koordiniert Massnahmen der Kantone und Dritter zur Anlage und Erhaltung attraktiver und sicherer Netze und zur Kommunikation über diese.

Der Bundesrat dagegen will sich nicht so weit verpflichten. Sein Vorschlag für den ergänzten Artikel 88 der Bundesverfassung lautet:

  • [Der Bund] kann Massnahmen der Kantone und Dritter zur Anlage und Erhaltung attraktiver und sicherer Netze sowie zur Information über diese unterstützen und koordinieren.

Dies kann man für ein bloss halbherziges Bekenntnis der Landesregierung fürs Velo halten. Die Abschwächung ist jedoch vorab der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen beim Bau von Velowegen geschuldet. Dafür sind die Kantone und Gemeinden zuständig, wie auch für die Fuss- und Wanderwege- (Im Gegensatz etwa zu den Autobahnen, die Bundessache sind und deshalb in der Bundesverfassung, Artikel 83, mit einer Muss-Formulierung erwähnt werden.) Der Bundesrat ist jedoch bereit, auch bei den Einrichtungen für den Veloverkehr koordinierende und unterstützende Funktion wahrzunehmen», wie er schreibt.

Die Initianten mussten angesichts der bekannten Zuständigkeiten damit rechnen, dass der Bundesrat nicht auf ihre zwingende Formulierung eingehen würde. Dass sie in einer Medienmitteilung im Gegenvorschlag trotzdem «ein Bekenntnis des Bundesrats zur Veloförderung» sehen, dafür gibt es drei Gründe:

  1. Der Bundesrat setzt mit seinem direkten Gegenvorschlag auf Verfassungsebene an, nicht mit einem indirekten auf der (weniger verpflichtenden) Gesetzesebene.
  2. Der Bundesrat will den von den Initianten ergänzten ersten Absatz von Artikel 88 der Bundesverfassung unverändert übernehmen. Darin heisst es neu: «Der Bund legt Grundsätze über Fuss- und Wanderwegnetze und über Netze für den Alltags- und Freizeitveloverkehr fest.» Das heisst: Die bestehende Kompetenz des Bundes zum Erlass einer Grundsatzgesetzgebung über die Fuss- und Wanderwege wird auf Velowegnetze für den Alltags- und den Freizeitverkehr ausgedehnt.
  3. Der Bundesrat beteuert in seiner Vernehmlassungsbotschaft, wie sehr er hinter der Stossrichtung der Initiative stehe. Die «Integration und Stärkung des Veloverkehrs auf Verfassungsebene» gehe einher «mit den verkehrspolitischen Grundsätzen des Bundes» und leiste «generell einen positiven Beitrag zur Erreichung weiterer bundesrätlicher Ziele», zum Beispiel im Klimaschutz, in der Energiepolitik oder der Gesundheitsförderung.

All dies ist ein (erster) Erfolg.

Schafft der Gegenvorschlag die parlamentarische Hürde, haben die Initianten viel erreicht. Die Chancen dafür stehen angesichts der breiten politischen Abstützung (nur die SVP ist nicht im Komitee vertreten) gut. Ein Rückzug der Initiative danach zugunsten des Gegenvorschlags könnte danach eine Option sein, um die Chancen auch vor dem Volk zu wahren – denn ob die Strassenlobby nach dem Ja zu zweiten Gotthard-Röhre auch gegenüber dem Velo so grosszügig wäre, ist höchst ungewiss.

Die Vernehmlassung über den Gegenvorschlag zur Veloinitiative dauert bis am 17. November 2016.

[blue_box]Die Volksinitiative «Zur Förderung der Velo-, Fuss- und Wanderwege (Velo-Initiative wurde am 1. März 2016 mit 105‘234 gültigen Unterschriften eingereicht. Die Initiative hat die Form des ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat unterbreitet dazu einen direkten Gegenentwurf. Der Bundesrat hat bis zum 1. September 2017 die Beschlussentwürfe und eine Botschaft dazu zu unterbreiten. Die Bundesversammlung hat bis zum 1. September 2018 über die Abstimmungsempfehlung zu beschliessen.[/blue_box]
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