SUVA fällt bei der Veloprüfung durch

Grossmutter drohte uns für unsere Sünden mit dem Fegefeuer. Mutter schickte uns ohne Nachtessen ins Bett, wenn wir uns nicht benahmen. Heute malt die SUVA Velofahrern den Tod an die Wand, sollten sie die Verkehrsregeln missachten – und stempelt damit Velofahren zum Risikosport.

Im neusten Kurzfilm des Unfallversicherers verunfallt ein Velofahrer und Familienvater auf dem Weg zur Arbeit tödlich, weil er sich nicht an die Verkehrsregeln gehalten hat. Die Reaktionen darauf sind heftig. Wir fassen zusammen.

Darum geht es

Um die Velofahrer auf die Risiken aufmerksam zu machen, denen sie sich beim Missachten von Verkehrsregeln aussetzen, haben die SUVA (Schweizerische Unfallversicherung) und die Kantonspolizeien Basel-Stadt, Waadt, Freiburg und Zentralschweiz den Kurzfilm «Der Velofahrer» gedreht. Hauptdarsteller ist ein junger Familienvater, der die Vorteile des Verkehrsmittels Velo schätzt. Zitat Medienmitteilung: «Was er jedoch nicht kennt, sind Anstand und Respekt gegenüber den anderen Verkehrsteilnehmern. Auf dem Weg zur Arbeit hat der junge Familienvater eine aggressive Fahrweise und fühlt sich unsterblich. Dies führt zu einem Unfall, den er mit seinem Leben bezahlt.»

Der Clip wurde am 20. April 2017 veröffentlicht. Die Reaktionen folgten postwendend. Und wie erwartet. In den Online-Kommentaren der Newsportale sehen Autofahrer sich in ihren (Vor-)Urteilen bestätigt («Tages-Anzeiger», «20 Minuten») , Pro Velo wirft der SUVA in einer Medienmitteilung vor, der Clip spiele mit dem Klischee des Velofahrers, der sich nicht an Verkehrsregeln hält und für seinen Leichtsinn büssen muss. «Damit werden Fronten verhärtet und die Verkehrssicherheit unterminiert.» In den Social Media schliesslich bezichtigen die Velofahrer die SUVA übler Machwerkerei.

Was aus unserer Sicht Sache ist, bringt «velojournal»-Verleger Pete Mijnssen hier auf den Punkt. Wir geben nachfolgend ausgewählte Meinungen wider (*), die Antworten der SUVA auf einzelne Posts sind gekennzeichnet.

«Unerträglich»

  • Die häufigste selbstverschuldete Unfallursache des Velofahrers, nämlich die «falsche Benutzung der Fahrbahn», könnte durch einen konsequenten Ausbau der Radwege deutlich gemildert werden.
  • Unerträglich, wie hier mit einem tödlichen Velounfall eine Kampagne gefahren wird. Wie der Off-Sprecher das Wort «Dubel» braucht, notabene nachdem der Velofahrer ums Leben gekommen ist. Wie der Autofahrer – auch danach – süffisant lächelt bei der Frage, ob dem Velofahrer die Luft ausgegangen sei. Ich frage mich, wie man heute auf die Idee kommen kann, solche Videos zu produzieren.
  • Die Erzieh-Werbung ist daneben, weil sie sich über den toten Velofahrer noch lustig macht.
  • Wie kann der grösste Unfallversicherer der Schweiz ein solch diffamierendes Bild des Velofahrers veröffentlichen? Das wäre dasselbe, als wenn man jeden Autofahrer als rasender Mörder darstellen würde.
  • Dass für über die Hälfte aller Unfälle mit dem Fahrrad die Fahrradfahrer selbst verantwortlich sind, mag statistisch gesehen stimmen. Jedoch passieren diese Unfälle mit ziemlicher Sicherheit wegen fehlenden Infrastrukturen für Velofahrer.
  • Indem sich Minimum 80 % der Velofahrer auf der Strasse wie Vollidioten benehmen!!! Bei den Ampeln sind Sie farbenblind. In Fussgängerzonen müssen Sie auch nicht absteigen!!! Ihnen gehört der gesamte öffentliche Raum…
  • Der Autoverkehr hält sich an die Verkehrsregeln. Ein Auto- oder Töfffahrer hält bei Rot an und hält sich von Fussgängerzonen und Tramstationen fern. Ganz anders viele Stadtvelofahrer, sie denken nur an sich. Diese Rücksichtlsosigkeit vieler Stadtvelofahrer schafft immer mehr ein Antiveloverhalten bei der Bevölkerung.
  • Gute Infrastrukturen erzeugen gutes Verhalten im Strassenverkehr. Also anstatt sich darüber zu beschweren, dass Velofahrer sich nicht an die (für den motorisierten Individualverkehr ausgelegten) Verkehrsregeln halten und so Unfälle kreieren, sollte man viel eher die Städte in der Schweiz rügen und fordern, dass endlich durchgehende, breite, von der Strasse abgetrennte Velowege gebaut werden. Das würde die allermeisten Probleme zwischen dem MIV und Velofahrern lösen. Das Ergebnis ist folgendes: Velofahren senkt die Ausgaben im Gesundheitswesen, erhöht die Lebensdauer und selbstverschuldete Unfälle nehmen mit zunehmender Infrastruktur drastisch ab.
  • Dass es Velofahrer dieser Sorte gibt ist wohl unbestritten. Ob dies eine solch geschmacklose Werbekampagne rechtfertigt ist jedoch äusserst fragwürdig. Vielmehr sollte der Langsamverkehr bei der Verkehrsplanung eine wichtigere Rolle einnehmen. Im Moment ist es ja so, dass die Velofahrer aufgrund der Verkehrsführung oft in gefährliche Situationen kommen oder zu einer entsprechenden Fahrweise animiert werden. Es würde auch anders gehen.

«Unverblümt»

  • Wieder mal das Velofahren als tödlich bezeichnen und sich dann wundern, wenns niemand mehr tut. Aber egal, die SUVA ist ja keine Krankenkasse, muss also nicht für die Folgen von Bewegungsmangel und Adipositas aufkommen.
  • SUVA: Der Kurzfilm zeigt unverblümt, welche Folgen es haben kann, wenn man sich nicht an die Verkehrsregeln hält. Nur wenn alle Verkehrsteilnehmer vorausschauend und mit Respekt unterwegs sind, können wir diese Zahlen senken.
  • Die einzig wirklich gute Massnahme, Velofahren sicherer zu machen ist, dafür zu sorgen, das möglichst viele Velofahrende unterwegs sind. Mit solchen Videos tragt ihr ganz sicher nicht dazu bei.
  • SUVA: Es geht in diesem Kurzfilm nicht darum, das Velofahren schlecht zu machen oder Velofahrende an den Pranger zu stellen.
  • Exakt das tut ihr jedoch in diesem Kurzfilm. Das, und den Leuten vermitteln das Velofahren eine tödliche Angelegenheit ist.
  • SUVA: Inwiefern wird Velofahren sicherer, wenn es mehr Personen ausüben? 80 Prozent aller Velounfälle sind Selbstunfälle.
  • 1: Wenn viele Leute Velofahren ist die Politik gezwungen, Veloinfrastruktur zu bauen, die den Namen verdient. Dadurch sinkt die Überforderung, die man heute beobachten darf.
    2. Viele Velofahrer bedeutet, sie werden weniger übersehen.
    3. Viele Velofahrer bedeuten, dass viele Velofahrer viel Velo fahren. Die dürften mit der Zeit geübter werden.
    4. Ein Blick nach Holland, Kopenhagen oder in deutsche Fahrradstädte zeigt, dass die Theorie auch in der Praxis stimmt.
    Ihr betreibt übelste Polemik, lasst euch von der notorisch velounfreundlichen Polizei einwickeln und meint sogar noch, ihr tätet etwas Gutes.
  • Noch nie etwas von «Safety in Numbers» gehört? Eine Organisation, die Unfälle verhüten will aber dieses Prinzip nicht kennt oder geflissentlich ignoriert ist offensichtlich inkompetent.
  • Es mag sein, daß 80 % aller Velounfälle Selbstunfälle sind. Diese gehen aber meisten sehr glimpflich aus und spielen somit keine Rolle. Was aber Fakt ist, ist dass in 75% aller Unfälle zwischen Radfahrende und Autofahrende, die Autofahrende die alleinige Schuld tragen. Wie wäre es also, da anzusetzen statt weiterhin billige Polemik zu betreiben?
  • Der Autofahrer ist nicht mitschuldig, sondern schuldig, da er einen Spurwechsel ohne vorheriges Blinken gemacht hat. Der Velofahrer konnte nicht anders als auszuweichen.
  • Ekelhaft. Im Film ist der ausparkende Autofahrer klar schuld, und das verknüpfen Sie mit dem Hinweis, dass 50 % aller Velofahrer an Unfällen Schuld wären? Glückwunsch, Sie machen ein Opfer zum Täter.

«Veloidioten»

  • Herrlich! Genau passend für die Veloidioten!
  • Die Message lautet: nehmt lieber das Auto für den Arbeitsweg, es ist sicherer. Der Velofahrer ist der Dumme, der Autofahrer der Kluge. Es wird suggeriert, dass man mit dem Fahrrad im Stadtverkehr nur dann schneller als die Autos ist, wenn man sämtliche Verkehrsregeln bricht, was einfach nicht stimmt. Warum muss man eigentlich Autofahren propagieren, um auf die Gefahren des Velofahrens hinzuweisen? Und ist dieser hämische Unterton wirklich nötig?
  • Das Ziel dieses Videos wäre ja eigentlich, die Fahrradfahrer zu vernünftigem Verhalten anzuregen. Wie soll das bitte geschehen, wenn die Zielgruppe als dauerverkehrsregelnbrechende Dummköpfe dargestellt wird? Dieses Video wird nur Velohasser ansprechen und sein Ziel weit verfehlen.
  • SUVA: Wir sind uns bewusst, dass es sich um einen pointierten Spot handelt. Selbstverständlich gibt es sehr viele Velofahrer, die korrekt und anständig unterwegs sind.
  • Um einen «pointierten» Spot? Wie bitte, das ist unverschämt, schlecht, eklig und einfach nur dumm! Und finanziert mit unseren Steuergeldern – auch von Velofahrern.
  • Sie wollen also die Unfallzahlen senken, indem sie die Leute vom Fahrradfahren abhalten?
  • In diesem Video missachtet der Autolenker die Verkehrsregeln aufs Gröbste, bitte bei der Realität bleiben und nicht die Autolobby hofieren.
  • Wir finden dieses Video unterirdisch degoutant und makaber. Lässige Sprüche über tote Verkehrsopfer sind, egal welche Umstände dazu führten, einfach menschenverachtend und pfui. Man hätte diese Botschaft nach präventivem Verhalten auf so viele Weisen bringen können (z.B. mit positiven Vorbildern oder mit dem Ruf nach sicherer Infrastruktur oder besserer Ausbildung), dass man sich schon fragt, was damit erreicht werden sollte.
  • Tolle Anti-Velo-Werbung! Klimaveränderung und Umweltverschmutzung ist ja eh alles nur erfunden. Habt Ihr super rübergebracht.
  • SUVA: Was wir als Suva aus unserer Werbewirkungsforschung wissen, ist, dass im heutigen Zeitalter der Reizüberflutung nette, unauffällige Motive kaum noch wahrgenommen werden.
  • Als Velofahrer werde ich täglich von mindestens 20 Autofahrern ohne Abstand lebensgefährlich überholt. Ich halte mich an jede Verkehrsregel. Und werde ständig in Lebensgefahr gebracht. Machen Sie bitte Ihren nächsten Film zum Thema «Sicherheitsabstand bei Überholmanövern».
  • Memo an mich: Muss Auto fahren. Ist sicher. Velofahren ist gefährlich. Danke SUVA. Wieder etwas gelernt.
  • SUVA: Das wäre schade. Die Vorteile vom Velofahren sind zahlreich. Ein Memo an Sie könnte wie folgt lauten: Muss weiterhin Velofahren. Dabei halte ich mich an die Verkehrsregeln. Damit ich sicher ans Ziel ankomme.
  • Ich finde den Spot schlimm. Gut gemeint, aber dass da bei der Suva niemand das Sensorium hat, und merkt, dass der Spot für Velofahrende schlicht beleidigend ist, überrascht und enttäuscht mich sehr.
  • Widerlich, wie die SUVA auf die aktuelle Kriminalisierungskampagne gegen das Velofahren in Städten aufspringt.
  • Diese «Dubel» gibts Viele – vor allem in Zürich; Dort bretterm sie nachts oft ohne Licht und bei Rot über jede Ampel – hier müsste man Bussen verteilen.
  • Es gibt oftmals einen Grund für die Missachtung der Regeln, manchmal ist es in den Städten schlicht unmöglich, so zu fahren, wie vorgesehen. Hingegen dem Risiko anderer ausgeliefert zu sein, wäre doch viel wichtiger zu thematisieren.

«Ein schlechter Scherz?»

  • Durch Autos werden sowohl Velofahrende wie auch Fussgänger massiv gefährdet, Autolenker sind sehr oft abgelenkt durch ihr Handy und nehmen damit Verletzte und Tote in Kauf während sie SMS tippen und gut zwei Tonnen Stahl mit hoher Geschwindigkeit durch die Strassen bewegen.
  • Der anklagende Ton im Film wird Velofahrer nicht dazu bewegen, sich sicherer zu verhalten. Autofahrer hingegen werden darin bestärkt, dass sie keine Schuld tragen und der Velofahrer sowieso unverantwortlich handeln. Den wichtigsten Punkt haben sie übersehen, ein Velofahrer gefährdet meist sich selber. Ein Autofahrer, welcher sich nicht an die Regeln hält, beispielsweise nicht blinkt bei Abbiegen, gefährdet nicht sich selbst, sondern den Velofahrer. Also wäre es konsequenter und wirkungsvoller gewesen die Autofahrer anzusprechen.
  • Sollte dieses Video ein schlechter Scherz sein? Das Auto, welches der Velofahrer kurz vor dem Zusammenprall überholt resp. überholen muss, blinkt nicht beim Spurwechsel. Somit muss der Velofahrer ausweichen und somit ist es die Schuld des Autofahrer. Wenn ihr schon gegen die Velofahrer schiessen wollt, dann macht doch das richtig.
  • Der Film ist so blöd. Warum muss der Velofahrer um die Autos herumkurven? Eindeutig fehlt die Infrastruktur für Velofahrer. Gerade die SUVA sollte doch für bessere Bedingungen für Velofahrer eintreten.
  • Das Video – womöglich die ganze Kampagne – ist aufgegleist von Menschen, die keine Ahnung davon haben, wie man sich mit dem Velo in einer Stadt (z.B. Zürich) den Weg häufig erkämpfen muss.

Quellen:

 

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2 Kommentare

Hallo Dominik.
Habe mich gerade auch bei der Suva beschwert über den Film. Gerade auch als Seelsorgerin bin zudem entsetzt, wie man sich da über ein Verkehrsopfer, einen Toten lustig macht!

Gruss

Ursula

Mit solchen Spots bestärkt die SUVA rücksichtslose Autofahrer in ihrer Einstellung. Dieser Schuss geht leier nach hinten los…

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