Weshalb mich mein 47-Grad-Nord mit Pinion bis dato begeistert

Zwei Jahre und ein halbes ist mein (also nicht mehr so) neues Velo mein Weggefährte. Besondere Kennzeichen: Handmade aus dem Hause 47 Grad Nord in Biel, geschaltet mit einer Pinion P1.18. Kollege Nique hatte mich schon vor Jahresfrist gebeten, über meine Erfahrungen damit zu schreiben. Ich liess es bleiben. Wohl, weil es an dem Ding nichts zu bemängeln gibt und ich deshalb lieber damit rumfahre als darüber zu testberichten. Vor ein paar Wochen wiederholte Nique seine Bitte. Also drückte ich dieser Tage auf den Auslöser und setze mich heute hin.

Was es festzuhalten gibt…

…zum massgefertigen Rahmen: Meine bis dahin beste velocipedistische Anschaffung. Ich bin 195 cm gross (hoch, lang…). Nach dem ersten Kilometer auf dem Sleipnir, so heisst das Modell aus Patriks Werkstatt, hatte ich den Eindruck, zuvor gut 20 Jahre auf einem zu kleinen Velo pedaliert zu sein. Meinen Vorgänger-Tourer, ein Cannondale T1000, hatte ich im Frühjahr 1992 angeschafft. Rahmenhöhe 60 cm. Über 50’000 km war ich damit gefahren. Gut und gerne. Doch die Velowelt ist für mich seit dem 7. März 2015, seit der Jungfernfahrt mit dem Sleipnir, eine ganz andere. Jetzt ist sie in Ordnung.

…zum Pinion-Schaltgetriebe: Die beste Wahl, die ich treffen konnte. So leicht habe ich mein Veloleben lang noch nicht geschaltet. 18 Gänge mit der rechten Hand mit einer Entfaltung von 636 Prozent – grossartig. Sehr bequem: Ich schalte im Stehen am Rotlicht, keine Steigung überrascht mich mehr, weil ich auch am Berg nie zu spät bin, ich schalte überhaupt mehr, weil die Pinion dazu einlädt, stets den gerade passenden Gang zu wählen. Die Pinion P1.18 ist zwar etwa 1.5 Kilo schwerer als eine Kettenschaltung. Doch weil das Gewicht mittig unten im Rahmendreieck sitzt, macht sich dies kaum bemerkbar. Was das Schalten selbst betrifft: Ich habe mich schnell daran gewöhnt. vor jedem Schaltvorgang Druck von den Pedalen zu nehmen. Oft trete ich sogar ein kleines bisschen zurück. Pinion gewährt zwar fünf Jahre Garantie auf die Schaltbox. Schonenden Umgang mit dem Ding schliesst dies freilich nicht aus.

…zum Gates-Zahnriemen: Es gibt keinen Grund, die Pinion-Schaltung mit Kette zu fahren, solange man keine Weltumradelung plant. In Kombination fährt sich mein Sleipnir damit absolut lautlos, solange ich trete. (Im Leerlauf  klickt die hintere Nabe ordentlich laut, sie ersetzt damit eigentlich die Klingel…) Was ich dafür allerdings tue: Ich bürste und wasche ihn alle zwei, drei Monate mit Seifenwasser und bespraye ihn nach dem Trocknen mit ein wenig Silikon. Schwarze Finger, schmutzige Hände? Gehört alles der Vergangenheit an. Und das mit dem höheren Widerstand? Quatsch. Lest, was Berufs-Tourer Darren Alff über seine Pinion-Erfahrungen schreibt. Der Mann ist begeistert, ich schliesse mich ihm an.

Wie lange der Riemen hält? Darauf bin nicht nur ich gespannt. Gates schreibt auf ihrer Website, das Carbon Drive System halte in Labortests «mehr als doppelt so lange wie eine herkömmliche Kette». Mein Riemen machts freilich schon länger: 14’000 km, und leichte Abnützungserscheinungen zeigen eigentlich erst die Riemenscheiben (siehe Bilder). «Mein» Rahmenbauer Patrik Widmer hat nach seiner diessommerlichen Tour bilanziert, sein Riemen habe die Pässe überstanden. Wenn er so das Schadensbild ansehe, werde wohl irgendwann ein Zahn an der Basis einreissen. Patrik meint, der Riemen werde nicht reissen, aber er könne sich vorstellen, dass er irgendwann einzelne Zähne verliert.   Marius Graber wiederum, «velojournal»-Technikredaktor und Mitarbeiter des Velocipeds in Kriens, geht «im Moment von einer drei- bis vierfachen Lebensdauer gegenüber der Kette aus». Bei der Nabenschaltung könne das also je nach Fahrweise und Verschmutzung um 15’000 bis 24‘000 Kilometer bedeuten. Graber rät daher: «Fahren, fahren, fahren.» Erst recht, da das Velociped bis anhin, wenn es denn soweit gewesen sei, immer Riemenscheiben und Riemen gleichzeitig ausgetauscht habe.

Wie auch immer: Bei meinem Gates sitzt jedes Zähnchen noch so fest wie am ersten Tag. Die regelmässige Bürsterei bekommt dem Riemen gewiss gut. Beziehungsweise sie verhindert unnötigen Abrieb durch Ablagerungen von Schmutz.

…zum Preis: Mein 47 Grad Nord-Velo ist ein edles Gefährt. Ich habe mein Konto ein Weilchen äufnen müssen dafür. Doch der hohe vierstellige Preis relativiert sich, vergleicht man diese Kosten mit den Ausgaben, die Durchschnittshaushalte sonst so tätigen. Wir haben das Glück, kein Auto haben zu müssen (wobei viele andere dieses ebenso haben könnten…). Das heisst in Zahlen: Wer sich ein Auto leistet, das monatlich mit 700 Franken zu Buche schlägt, hätte mein 47 Grad Nord in weniger als einem Jahr abbezahlt. Hinzu kommt: Mein Stahlpferdchen hat eine bedeutend höhere Lebenserwartung als ebendieses Motorfahrzeug. Und nebenher noch: Die Zusammenarbeit mit einem Rahmenbauer, das Hin-und-Her und Werweissen über Form und Ausrüstung, ist ein Erlebnis und schafft Bindung. Ich freue mich jedes Jahr auf die Plauderei anlässlich des Jahresservices. Und: Mein Auftrag trägt dazu bei, dass jemand sein (Kunst-)Handwerk pflegen kann. Das schafft beidseits Freude.

Mehr gibt es nicht zu schreiben. Zu sagen vielleicht schon. Wer testfahren will, melde sich. Willkommen sind nicht nur Langbeiner.

Auf der vorderen Zahnscheibe sind nach 14’000 km leichte Abnützungen sichtbar. Sie beeinträchtigen den Betrieb aber nicht. | © 2017 Dominik Thali
Das Pinion-Getriebe ist wartungsfrei gekapselt im Tretlager untergebracht. Es muss lediglich einmal jährlich das Öl gewechselt werden. | © 2017 Dominik Thali
Der Gates-Zahnriemen nach 14’000 km: keine Abnützungserscheinungen. Die blaue, oberste Schicht hatte sich schon früh abgeschliffen, was aber zu keinerlei Beeinträchtigung führt. | © 2017 Dominik Thali
Teile diesen Beitrag

Kommentar verfassen