Die Velobranche steht sich selbst im Stau

Dieser etwas verquere Titel fasst zusammen, was mir auch dieses Jahr wesentlich von der Eurobike bleibt: An der weltweit führenden Messe für das Zweirad1 sind mal für mal Mengen toller Velos zu sehen. Aber wer damit wo herumfahren soll, darum scheint sich die Branche nicht zu kümmern. Dass die Parkplätze rund um das Messegelände voll wie immer waren, unterstreicht das Unbehagen von Menschen (we mir), die sich ein Velo nicht nur anschaffen, sondern dieses auch benützen wollen. Im Alltag. In der Stadt. Geichberechtigt. Sicher.

Im Marketing gibt es den Begriff «Customer Lifecycle», den Lebenszyklus der Kundenbeziehung. Darin steckt sogar ein halbes Velo – aber die Kundenbeziehung der  Velobranche scheint am Verkaufspunkt zu beginnen wie zu enden. Man verkauft gerne und empfängt ab und an zum Service. Was dazwischen, auf der Strasse, abgeht (oder eben nicht) – uns egal. Scheint mir zumindest so.

Ein paar Feststellungen nach meinem Eurobike-Tag, die mich diese betrübliche Bilanz ziehen lassen:

  • Einen Tag vor der Eröffnung der Eurobike erhielt ich von der Messe eine Mail mit «wertvollen Tipps für die Anreise». Es folgten danach an erster Stelle «Tipps für die Anreise mit dem Auto». Auch wer mit dem Flugzeug andüsen wollte, wurde mit Informationen bedient. Einen Hinweis bereits hier, dass für den Nahverkehr Leihvelos zur Verfügung stünden – Fehlanzeige.
  • Am Donnerstag, meinem Eurobike-Tag, liess die Messeleitung die hunderte Besucherinnen und Besucher, die aus der Schweiz mit der Fähre kurz nach neun eintrafen, eine halbe Stunde im Regen (!) stehen. Die Busse liessen diesmal noch länger auf sich warten. Und standen danach auf den vier Kilometern bis zum Messegelände eine weitere halbe Stunde im Stau. Von den oben erwähnten Leihrädern sah ich übrigens am Fährhafen keines. Dafür einige hundert beim Eingang zur Messe. Irgendwie verkehrt. Eine ausgeschilderte Route? Abermals Fehlanzeige.
  • Das Velo feiert dieses Jahr sein 200-jähriges Bestehen. Die Eurobike schenkte diesem Jubiläum kein besonderes Augenmerk, es gab weder eine Sonderausstellung oder dergleichen, sondern lediglich an zwei Abenden in Zusammenarbeit mit dem Magazin «fahrstil» eine Veranstaltung zum Thema. Tut mir stellvertretend leid, Herr Drais.
  • Das Velo und seine Rolle in der Mobilitätswende? Siehe oben – kein Thema. Ich habe – Bild unten – diesbezüglich nur ein Spurenelement an der Eurobike entdeckt, ein Lastenrad des Bundeslands Baden-Württemberg, auf dem – immerhin – das Wort «Radstrategie» an erster Stelle steht.
  • Lastenräder können im Nahverkehr eine wichtige Rolle beim Aufdröseln des Verkehrsknotens übernehmen. Sie werden immer besser. An der Eurobike hätten sie weitaus mehr Aufmerksamkeit verdient.

Schlussfolgerung: Chancen kann man ergreifen oder verpassen.

Und Frage: Weshalb setzt sich die Velobranche nicht mit vereinten Kräften dafür ein, dass ihre (grossartigen) Produkte auf der Strasse nicht auch so eingesetzt werden können, wie sie es könnten und verdienten.

Das verkehrspolitische Spurenelement an der Eurobike 2017: das Info-Lastenrad des Bundeslands Baden-Württemberg. | © 2017 Dominik Thali

 

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12 Kommentare

Hallo Markus, danke für deine Bemerkung. Und das Bild illustriert wunderbar, worum es geht. Das Velo kann in der Mobilitätskette wirklich all die kleinen Lücken schliessen, ein Faltrad sowieso. Wie geschrieben geht es mir aber nicht nur um die Anreise, sondern um den Aspekt «Mobilität» generell und die Rolle des Fahrrads darin. Schade, dass eine solche Messe sich da nicht mehr einmischt, sondern sich eigentlich nur um den Veloverkauf kümmert. Die Autolobby ist da viel offensiver, man erinnere sich an die Abstimmung über die zweite Gotthardröhre.

Leider trifft die Analyse voll ins Schwarze. Beim Sammeln für die Veloinitiative hörte ich wiederholt in Velofachgeschäften «nein, sowas legen wir nicht auf, das ist zu politisch.»
Wer so kurzsichtig denkt, muss nicht jammern, wenn das Geschäft bachab geht.

100% Zustimmung. Ist leider ein Trauerspiel. Für viele in der gesamten Wertschöpfungskette geht es leider nur ums schnelle Geld und nicht um Berufung/Kundenbindung. Ist extrem schwierig, da die richtige Marke/den richtigen Händler zu finden.

Vielen Dank für Deinen Artikel! Er trifft absolut das, was mir auch an meinem Tag bei der Messe aufgefallen ist. Ein kostenloses Leihrad hätte mit bei meiner Ankunft auch weitergeholfen! Fahrradpolitik und auch Lastenräder kamen viel zu kurz. Sehr schade!

Hallo Dominik, ich habe viele tolle Aussteller auf der Eurobike getroffen und trotzdem wurde ich angesichts der defensiven Haltung der Hersteller zur Verkehrspolitik, der Ideenlosigkeit zu Verkehrskonzepten und dem „Höher, Größer und Weiter“ der Velos ein „Verkehrte-Welt – Gefühl“ nicht los.

Martin alias Speedpedelecbiker

Die Fahrradroute zur Messe ist sehr wohl ausgeschildert, wenn auch klein. Aber dass die Leihräder ausgerechnet am Hafen fehlten, ist tatsächlich ein Witz. Und zu 200 Jahre Fahrrad war die Veranstaltung, von der Du schreibst, die Vernissage der Ausstellung, welche am Publikumstag Samstag ganztägig geöffnet war.

Rad besteht aus vielen Komponenten – wir versuchen das System Fahrrad mit unseren Lastenrädern für Promotion zu bereichern. Unser Ansatz ist ein Rad für viele Zwecke. Also InfoLastenrad, EisBike etc.. Alles auf der selben Plattform mit wenigen Handgriffen umgebrandet und umgebaut auf den nächsten Einsatz – z.B. CafeRad… . Das als Gedanke dazu, dass es noch ganz andere Perspektiven als die Produktion und Verkehrspolitik gibt. http://www.advelo.at

Hallo Helmuth, das sind natürlich nicht minder spannende Perspektiven. Sie ergänzen sich prima mit den Themen Mobilität und Verkehrspolitik. Damit das (Lasten-)Rad als sinnvolle Alternative genutzt wird, braucht es ja auch die entsprechenden guten Angebote.

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