«Das Velorad ist eine eigentliche Leuteplage»

[…] kommen wir noch auf eine andere Fahrerei. Was im Dienst eines vernünftigen Menschen ein nützliches, löbliches Instrument, wird unter der Leitung (oder besser gesagt Nichtleitung) eines zweibeinigen Kamels zur grössern Landplage als zur Zeit ein Überfall durch Heustöffel. Ja, zur eigentlichen Leuteplage hat sich das Velorad herausgebildet. Tag und Nacht, auf Strasse und Feldweg, über Äcker und abgemähte Wiesen, siehst du ihn hinrasen, den Radelwüthrich, den Kopf vorgebogen, wie ein Arenaviecherl, mit den Haxen strampelnd, als hätte er das Universum in Bewegung zu setzen, nicht achtend der armen Erdhübel, hinsetzend durch Dornhecken, anfahrend an Baumstämme, niederreitend alles, was da lebt und schwebt. Nichts ist ihm heilig, weder das Kind im Wägeli, noch der Schulbube, weder Mann noch Frau, Greis noch Greisin. Ich sehe ahnend die Zeit kommen, wo nicht einmal der Güggel auf unserem Kirchturm vor ihm sicher ist. Namentlich durch Dörfer, wo das Gesetz ein dem Schrittfahren der Fuhrwerke gleichmässiges Tempo vorschreibt, wird hingewütet, als wollte man Wettfahrten veranstalten «wele gschwinder».

Nur immer neue und grössere Jammermaschinen

Ein wahrer Hohn sind die sog. Warnungssignale. Hörst du einen trompetenden Ton, so glaube, es schmettert zum Angriff, und kannst du nicht katzengleich auf einen Baum setzen, ist das Unglück geschehen. Hörst du dicht hinter dir das gellende Geklingel, dann empfehle deine Seele dem Himmel und den Leib dem nächsten Strassengraben.

Und erst die Automobile! Fürchterlicher noch als der Name ist das Gesumm und Geschnurr und der Teufelsgestank, den sie ausspeien, ist geradezu zum Teufel… Ich befand mich jüngst im idyllischen Weggis. Behaglich die Strasse hintrottend am herrlichen See, was höre ich da hinter mir her rasseln und pusten – das Schnauferl. Links eine Mauer, rechts der See. Mir ward zu Mut, wie dem Winkelried beim Lawinensturz, An einen Baum mich klammernd, liess ich es heranrasen – gottlob vorbei – vorüber. Und meine Frau konnte mit Mechtild sagen:

So nah’ ist heut der Tod vorbeigegangen
An dir und meinem und der Kinder Glück.

Wahrscheinlich wird man im Interesse der Fremdenindustrie nicht wagen, diese Strassenlokomotiven dorthin zu verweisen, wo sie von Rechts wegen gehören, zum Kuckuck, oder dann auf eine von den Fussgängern abgegrenzte Strassenbahn; aber eines wird man notwendig finden zum Schutz des Publikums – die strikte Anwendung des Strassengesetzes. Hier handelt es sich nicht wie beim Radeln um eine Völkerwanderung, sondern um eine Modetollheit einiger reicher Herren, welche allerdings das Opfer zu bezahlen, aber nicht aufzuerwecken vermögen. Ich bin kein Feind von Neuerungen und Verbesserungen, aber dass man in dieses Jammertal nur immer neue und grössere Jammermaschinen hineinsetzt, welche die schöne Welt zu einem grossen Zirkus machen, in dem wir dumme August spielen, hinpurzeln und die Beine in die Höhe strecken können, das erschüttert meine Nerven, das stört meinen Seelenfrieden.

Aus dem «Wochenkommentar» im «Hochdorfer Anzeiger» vom 10. August 1901. Kleine orthografische Korrekturen und Zwischentitel durch die Redaktion.

Beitragsbild: Image by Karen Arnold from Pixabay

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