Das Geheimnis des Velofahrers

«Das Geheimnis des Fahrradhändlers»: Ich liebe dieses Buch des französischen Zeichners und Cartoonisten Jean-Jacques Sempé. Es ist 1996 erschienen. Das Geheimnis des Velofahrers ist jüngeren Datums und wird an dieser Stelle gelüftet. Er betätigt sich neuerdings als Velohändler.

Mit Erfolg. Auf meinem Umschlagplatz gedeiht die Wirtschaft und wächst das Wohlbefinden.

Den Wechsel vom passiven Velcipedisten zum aktiven Marktteilnehmer schaffte ich Mitte September, als auf dem Online-Marktplatz tutti.ch ein hübsches Cannondale angeboten wurde, ein H500 aus den Neunziger Jahren, mit seinen Canti-Bremsen und dem geradem Lenker ein Flitzer, den ich als leichtes Tourenvelo aufzuhübschen gedachte. Für wen auch immer, derlei Fahrgestühl kann man schliesslich nie genug haben. Für die verlangten 90 Franken schlug ich also in den Handel ein, fuhr eines Abends in die Grossstadt und holte das blaue Ding bei Verkäufer Önder ab. Er selbst hatte selbiges von einem Kollegen übernommen und offensichtlich, weil zu klein, kaum gefahren. Wir plauderten ein bisschen, ich schwang mich in den Sattel und wusste gleich, dass ich es aus demselben Grund weiterverkaufen würde. Velos sind zum Fahren gemacht, nicht einlagern.

Nach einem, zwei Putz- und Polierstündchen am folgenden Samstag schrieb ich das H500 deshalb auf Ricardo aus, es glänzte nun noch mehr und drängte sich, fotografisch ins rechte Licht gerückt und für vier Franken neunzig extra geboostet, einem nächsten Eigner geradezu auf: Kauf mich! Als entschlossendster unter den digitalen Marktbesuchern entpuppte sich David, dem der Sofort-kaufen-Preis von 200 Franken nicht zuviel war und der «mein» Cannondale (ich hatte es zwischenzeitlich schon ordentlich lieb bekommen) am folgenden Samstag abholte. Er stiegt vor unserer Haustür nicht nur aus einem kleinen Auto, einem Cinquecento, sondern erwies sich sowohl mir (viel) wie auch meiner Frau Gemahlin (ein bisschen) längenmässig unterlegen, sodass die Freude beidseitig war: bei ihm über das Fundstück, bei uns über den passenden Käufer (und die Gewinnmarge, welche natürlich Letzterem nicht kommuniziert wurde). David bedankte sich mit einer herausragenden Bewertung meiner Person auf Ricardo. Ich zitiere: «Das super schöne Fahrrad ist in einem tadellosen Zustand, ich freue mich schon auf meine ersten Fahrradtouren. Zudem war die Begrüssung sehr herzlich, sehr sehr nette Leute.» (Stimmt alles. Wir hatten David noch einen Sack Äpfel mitgegeben, frisch vom eigenen Baum.)

Und alles war gut. Fast alles

In den gleichen Tagen machte ich sodann einen weiteren Fund, der am folgenden Freitag in mein Eigentum übergehen sollte: Ein Aarios-Alltags- und Tourenvelo, frisch aufgemöbelt, neu gesattelt und so, das diesmal zu passen schien. Für 460 Franken war ich am Ende der Meistbietende. Zwei Tage späte machte ich mich deshalb erneut auf den Weg, diesmal zu Enis, der sich als ähnlich velophil wie ich entpuppte und das Aarios als Corona-Projekt komplett zerlegt und aufgefrischt hatte. Wir fachsimpelten, die zwei Buben kurvten uns um die Ohren, die Sonne schien und alles war gut.

Bloss die Rahmenhöhe nicht. Auch diesmal.

Also bockte ich auch das Aarios auf, polierte abermals nach, quetschte Hülsen auf Kabel, wo keine waren, versah das Schutzblech-Gestänge mit Endkappen, sprayte den Rost auf dem Wechselschutz weg. Schliesslich: Denn: Der erste Eindruck zählt.

Was Ralph bestätigte, der für das Velo eine Woche später auf Ricardo 480 Franken bot und damit der nächste Eigentümer wurde. «Ich wollte es einfach unbedingt», schrieb er mir, wiewohl unsicher, ob es ihm passen würde.

Ob es das tut oder tat, weiss ich nun nicht. Bestimmt fühlt sich Aarios aber in Ralphs Garage neben einem halben Dutzend anderer Velos wohl, wo es vor ein paar Tagen ein neues Daheim gefunden hat.

Derweil mache ich Kassensturz: 550 Franken ausgegeben, 680 eingenommen, macht 130 Franken Gewinn und eine Bruttorendite von gut 19 Prozent. Gearbeitet habe ich gratis, dafür fielen 71 Franken Ricardo-Spesen an. Macht netto immer noch rund 60 Franken fürs Velokässeli oder 8,7 Prozent Marge. Immerhin. Und nicht schlecht.

Bestätigt sehe ich mich in der Sinnhaftigkeit meines Markteintritts durch eine Nachhaltigkeitstudie, die Veloplus mit dem Ziel in Auftrag gab, «ein möglichst nachhaltiges und langlebiges Velo» zu entwickeln. Entscheidend dafür seien nicht etwa der Rahmen oder dessen Herstellung, sondern die Ausstattung und – jetzt kommts! – die Dauer, wie lange das Velo gefahren wird.

So sei und ist es. Auf dass mein Cannondale und Aarios noch lange in der Welt herumkommen!

P.S.: Ich habe keinerlei Expansionsgelüste. Werde verlockenden Angeboten aber auch fürderhin nicht widerstehen können.

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