1. März 2016: Die Eidgenössische Volksinitiative «Zur Förderung der Velo-, Fuss- und Wanderwege (Velo-Initiative)» wird mit 105’234 gültigen Unterschriften eingereicht. 26 Verbände und Parteien bilden die Trägerschaft
Was die Initiative will: Der Bund hat bereits die Kompetenz, für Fuss- und Wanderwege Grundsatzgesetze zu erlassen. Neu soll er dies auch für Velowege tun können. Zentral: Die bestehende Kann-Formulierung wird im Initiativtext durch eine Muss-Formulierung ersetzt. Dazu soll Artikel 88 der Bundesverfassung entsprechend ergänzt und angepasst werden. Im Wortlaut:
1 | Der Bund legt Grundsätze über Fuss- und Wanderwegnetze und über Netze für den Alltags- und Freizeit-Veloverkehr fest.
2 | Er fördert und koordiniert Massnahmen der Kantone und Dritter zur Anlage und Erhaltung attraktiver und sicherer Netze und zur Kommunikation über diese; dabei wahrt er die Zuständigkeiten der Kantone.
3 | Er nimmt bei der Erfüllung seiner Aufgaben Rücksicht auf solche Netze. Muss er dazugehörende Wege aufheben, so ersetzt er sie.
17. August 2016: Der Bundesrat lehnt die Initiative ab und gibt einen Gegenentwurf in die Vernehmlassung. Zentral: Er lehnt die Muss-Formulierung ab. Diese nehme dem Gesetzgeber bei der Gestaltung der Ausführungsgesetzgebung den Handlungsspielraum und sei aus finanzpolitischen Gründen unerwünscht, argumentiert er. Zudem würde die neue Regelung auch für Fuss- und Wanderwege gelten.
23. August 2017: Der Gegenentwurf hat die Vernehmlassung unverändert überstanden. Der Bundesrat legt seine Botschaft dazu vor. In die parlamentarischen Debatte gelangt die folgende neue Fassung von Artikel 88 der Bundesverfassung:
1 | Der Bund legt Grundsätze über Fuss-, Wander- und Velowegnetze fest.
2 | Er kann Massnahmen der Kantone und Dritter zur Anlage und Erhaltung solcher Netze sowie zur Information über diese unterstützen und koordinieren. Dabei wahrt er die Zuständigkeiten der Kantone.
3 | Er nimmt bei der Erfüllung seiner Auf-gaben Rücksicht auf solche Netze. Er ersetzt Wege, die er aufheben muss.
30. November 2017: Der Ständerat lehnt wie der Bundesrat die Initiative ab und stimmt dem Gegenentwurf zu.
1. März 2018: Der Nationalrat lehnt wie der Bundesrat die Initiative ab und stimmt dem Gegenentwurf zu.
16. März 2018: Beide Räte bestätigen ihren Entscheid in der Schlussabstimmung.
21. März 2018: Das Initiativkomitee zieht die Initiative zugunsten des Gegenentwurfs zurück.
23. September 2018: Die Stimmenden genehmigen an der Urne den «Bundesbeschluss über die Velowege sowie die Fuss- und Wanderwege (direkter Gegenentwurf zur Volksinitiative «Zur Förderung der Velo-, Fuss- und Wanderwege [Velo-Initiative]») mit 1’475‘000 Ja gegen 529’253 Nein-Stimmen. Alle Kantone sagen Ja. Die Ja-Mehrheit beträgt 73.6 %
18. Mai 2020: Der Bundesrat hat die rechtlichen Grundlagen zur Umsetzung des neuen Verfassungsartikels geschaffen und gibt den Entwurf des Veloweggesetzes bis am 10. September 2020 in die Vernehmlassung. Der Bau von Velowegen bleibt Aufgabe der Kantone. Sie haben künftig aber die Pflicht, Velowege verbindlich zu planen und für ein zusammenhängendes und sicheres Velowegnetz zu sorgen.
19. Mai 2021: Der Bundesrat verabschiedet die Botschaft zum neuen Bundesgesetz über die Velowege (Veloweggesetz) zuhanden des Parlaments.
28. September 2021: Der Ständerat stimmt dem Gesetzesentwurf mit 38 gegen 4 Stimmen zu.
16. Dezember 2021: Der Nationalrat stimmt dem Gesetzesentwurf mit 135 Stimmen gegen 50 Stimmen bei 3 Enthaltungen zu.
- Die Beratung im Parlament: hier
- Fahne mit der Gegenüberstellung der bundesrätlichen Fassung und der Beratungsergebnisse von Stände- und Nationalrat
Worum es jetzt noch geht
Der Nationalrat hat bei den Planungsgrundsätzen den Ständerat korrigiert, der hinter den Gesetzesentwurf des Bundesrats gehen wollte und das Gesetz abgeschwächt hatte. Konkret:
- Der Ständerat befand, die Kantone sollten Velowege nur dann ersetzen müssen, wenn ein «ausgewiesenes öffentliches Interesse» besteht (Artikel 9.1). Diese Formulierung hat der Nationalrat wieder gestrichen. Sie war schon in der bundesrätlichen Fassung nicht enthalten.
- Den gleichen Einschub hat der Nationalrat bei den Aufgaben des Bundes gestrichen (Artikel 13d). Auch dieser muss nach Ansicht des Ständerats aufgehobene Velowege nur dann ersetzen, wenn dafür ein «ausgewiesenes öffentliches Interesse» bestehe.
- Der Ständerat befand, Velowegnetze «eine möglichst direkte Streckenführung» aufweisen – und nicht wie vom Bundesrat vorgeschlagen «eine direkte» (Artikel 6b). Der Nationalrat lehnt auch diese Verwässerung ab.
- Der Ständerat befand, die Velowege müssten einen «möglichst homogenen» Ausbaustandard aufweisen (Artikel 6d). Der Nationalrat hat auch hier – im Sinn des Bundesrats – das eingefügte Wort «möglichst» wieder gestrichen, ebenso wie bei Artikel 6c, gemäss dem Velowege «sicher» sein sollen, nicht nur «möglichst sicher».
Beide Räte haben beschlossen, dass die kantonalen Velowegnetze «für die Behörden verbindlich» sind und die Kantone für deren Planung und Erhalt mit privaten Fachorganisationen – zum Beispiel der Pro Velo – zusammenarbeiten können.
Kein Beschwerderecht für Fachorganisationen
Keine Chance hatte in beiden Kammern das Beschwerderecht, das der Bundesrat Fachorganisationen einräumen wollte. Unverändert im Gesetzesentwurf bleiben wiederum die Fristen: Fünf Jahre Zeit erhalten die Kantone für die Erstellung der Velonetz-Pläne, zwanzig für deren Umsetzung.
Die Vorlage geht nun zurück an den Ständerat. Dieser befasst sich an der Frühjahrssession 2022 (28. Februar – 18. März) nochmals mit derm Velogesetz, danach kommt es allenfalls zur Differenzbereinigung zwischen den beiden Räten. Die Schlussabstimmung dürfte in der Sommersession im Juni erfolgen. Gegen das Gesetz könnte das Referendum ergriffen werden, was jedoch angesichts der hohen Zustimmung zum Verfassungsartikels im September 2018 unwahrscheinlich ist. Wann der Bundesrat es in Kraft setzen würde, ist offen, realistisch wäre der 1. Januar 2023.
Das Velo nimmt Fahrt auf – auch schon ohne Initiative
Zu diesem Zeitpunkt werden beinahe acht Jahre seit der Lancierung der Velo-Initiative vergangen sein.
Gut Ding will eben Weile haben, lässt sich bilanzieren, und zum Glück hat sich das Velo in all den Jahren schon den einen und anderen Quadratmeter Strassenraum (zurück-)erobert. Zum Beispiel haben am 27. September 2020 die Stimmenden der Stadt Zürich die Initiative «Sichere Velorouten für Zürich» mit einer 70 Prozent-Mehrheit angenommen. Innert zehn Jahren muss nun ein Veloschnellroutennetz von mindestens 50 Kilometern entstehen. Im November des gleichen Jahres wurde die Initiative «Luzerner Velonetz jetzt!» eingereicht, die ein ähnliches Ziel verfolgt. Sie befindet sich zurzeit in der parlamentarischen Beratung. Im Dezember schliesslich legte Pro Velo mit zwei gleichen Initiativen in den Agglomerationsgemeinden Kriens und Emmen nach, die dort eingereicht wurden.
Nächste Abstimmungshürde ist der 13. Februar 2022 in Luzern. Dann entscheiden die städtischen Stimmberechtigten über den Bau einer unterirdischen Velostation mit 1200 Abstellplätzen an der Bahnhofstrasse. Kommt der Kredit durch, kann in der zweiten Hälfte 2022 mit den Bauarbeiten begonnen werden. Die Aussichten sind gut, die Stadt hat sich schon wiederholt für eine weniger autobestimmte Stadt ausgesprochen; zuletzt im Oktober 2019, als sie den Planungskredit für einen Velotunnel unter dem Bahnhof bewilligte.