In L’Isle-su-le-Doubs, einem Städtchen zwischen Besançon und Montbéliard im französischen Jura, verkümmert an der Abzweigung von der Hauptstrasse zum Veloweg das Hotel La Marine. Die blauen Jalousien längst geschlossen, zeugt der verblasste Schriftzug «Routiers» auf der Fassade aber noch von der einstigen Betriebsamkeit. Lastwagenfahrer verpflegten sich hier auf langer Fahrt, erzählten und schmückten aus, was sie auf der Strasse erlebt hatten, und manche nächtigten in den günstigen Zimmern.
Vergang’ne Zeit. Heute sind wir auf zwei Rädern die Routiers von einst. Mit Musse statt Müssen. Wir spedieren nur uns selbst und unser leichtes Gepäck. Wir halten inne, wenn uns danach ist und lassen uns in den Augenblick verwickeln, weil die Gelegenheit nicht verpassen wollen.
Der Mann im Pissoir




Solche Pausen, die einen Eintrag ins Notizbüchlein wert sind, gibt es (auch) auf dieser Tour zuhauf. Da sind die Brombeeren am Wegrand reif. Da schwärmt der Schleusenwärter am Rhein-Rhone-Kanal bei Dannemarie von seinem Beruf und erzählt, wie Böötler mitunter seinen Alltag ein zweites Mal kreuzen, nachdem sie zwischendurch um die halbe Welt geschippert sind. Zwischen Tournus und Chalon-sur-Saône wird das Gespräch mit Micha, einem Aussteiger aus Deutschland, der mit Velo und Anhänger, einem 500-Kilo-Gefährt, unterwegs ist, schnell politisch. Der Mann macht seinen Staat schlecht, aus dem er sich inzwischen aus steuerlichen Gründen abgemeldet habe, freut sich aber im nächsten Satz widerspruchsfrei über die Rente, die ihm ermögliche, so zu leben.
Da schlagen wir lieber eine andere Richtung ein. Ich lache auf dem Camping in Trévoux über den Mann im Pissoir, der es schafft, mit der Rechten seinen Schwengel zu halten und mit der Linken das Portable zu bedienen. Smartphone-Kunst, mit der er am Strassenkunst-Festival in Chalon-sur-Saône, an dem wir einen Nachmittag verbringen, nicht punkten könnte.






Klaus’ Platten und der Döner-Mann
Zwei Tage zuvor hatten wir Klaus geholfen, einen Platten zu beheben. Er war mit seinem schicken Gravel südwärts unterwegs, um die Tour de France auf dem Mont Ventoux zu erleben. In Montmerle wiederum führt uns ein Senior auf dem Renner zu einem Pausencafé, wie wir es uns nicht lebendiger hätten wünschen können. Schliesslich: In Montbéliard; dort, wo sich der Doubs in die Schweiz verabschiedet und Peugeot seit 1891 Autos herstellt, erklärt uns der Döner-Verkäufer seine Stadt.
So geht das noch und noch, derweil die breiten, gut ausgebauten Velowege entlang der Wasser, Rhone, Saône, Kanäle, uns Velogondlern hunderte Kilometer Zeit lassen, das Gesehen und Erlebte nebeneinander pedalierend zu erörtern. Was die Schweiz an Wanderwegen zu bieten hat, macht Frankreich mit seinen Velowegen dem Wasser entlang wett. Das gefällt vielen Pedalierenden, die wie wir in alle Richtungen unterwegs sind.






Sie und wir nehmen auf zwei Rädern zugleich wahr, wie die Landschaft sich wandelt. Unser gemächliches Tempo lässt uns die Zeit dazu. Wir lassen kurz nach Genf die Berge hinter uns, atmen in Lyon Südluft und fahren die folgenden zehn Tage flach nordostwärts. Die wenigen Höhenmeter sind nicht spürbar, gelegentlich hilft uns auch der Wind im Rücken darüber hinweg. Nach Dôle sodann wird’s, links und rechts, wieder bergig: Der Doubs schlängelt sich hier durch den Jura. Vor Mülhausen und bis Basel schliesslich schnuppern wir zum Abschluss kurz am Elsass. Ab dort bringt uns die Bahn nach Hause, wie zwei Wochen zuvor nach Genf.
Zeit zu zweit
Fazit und aber auch keine neue Erkenntnis: Es braucht wenig, um auf zwei Rädern glücklich zu werden. Eine Idee, einige Ausrüstung, die sich in der Regel seit Jahren im Keller und Estrich angesammelt hat, und Zeit. Gut vermengt, wird daraus eine Er-Fahrung, die anderweitig nicht käuflich und – dies nebenbei – auch beziehungsfördernd. Wir Routiers sind schliesslich zu zwei unterwegs.








