Velofahren, wo Wind und Wolken wohnen

Im Sommer 2012 waren wir auf Tour in Dänemark – zwei Wochen kreuz und quer durch ein Land, das Velofahrern viel zu bieten hat. In der Juli-Ausgabe des «velojournal», die heute im Briefkasten lag, ist meine Reportage darüber erschienen. Bevor es zum ungekürzten Text geht, hier ein kleiner Werbeblock: Das «velojournal» ist Pflichtlektüre für den überzeugten Velofahrer und die passionierte Radlerin. Hier gehts zur diesbezüglichen Übersicht.

Unterwegs im Velo-Wunderland Dänemark: Strässchen, die sich in eine sanfte Landschaft wellen, 1400 Inseln, die für Meer-Wert sorgen, und Wind, mit dem sich hier gut Freund sein lässt. Es gibt ungezählte Möglichkeiten, dieses Land auf zwei Rädern zu erkunden.

Langeland ist ein langes Land. 52 Kilometer. Am unteren Ende der Ostseesinsel liegt das Fischerdörfchen Bagenkop, wo uns an diesem Nachmittag angesichts der Hafenstimmung mit Kuttern, Tauen und salziger Luft die Lust auf Fisch zum Abendessen überkommt. Denn «hier kann man mit eigenen Augen sehen, dass Fische nicht paniert geboren werden», lesen wir im Langeland-Ferienprospekt. Doch wer jetzt, um vier, noch frischen Fang will, muss sich sputen, denn die Fischersfrau schliesst um diese Zeit ihren Laden; man sei, bemerkt sie, in ihrem Gewerbe schliesslich jeweilen früh auf den Beinen. Als wir werweissen, ob die dicken Filets in den Stunden, bis wir auf dem Zeltplatz sind, unter der heissen Sommersonne nicht verderben, wickelt sie uns diese mehrfach in Papier, legt sie in ein Eimerchen, kippt reichlich Eis darüber und drückt den Deckel drauf. Dienst am Kunden und dänische Höflichkeit ist das, ebenso wie gegenüber im kleinen Supermarkt, wo wir um ein Plätzchen im Kühlraum bitten, schliesslich wollen wir noch ein wenig Hafenluft schnuppern, bevor wir weiterradeln.

Zwölf Kilometer mit Fisch an der Lenkstange, der wenig später zwischen Pasta und Peperoni in der Pfanne brutzelt.

Auf vielen dänischen Campings gibt es Gemeinschaftsküchen und Essräume, weil es, hoch im Norden, doch auch im Sommer mal chutet, und es ist unbedingt zu empfehlen, diese Einrichtungen auch zu benutzen: Man guckt sich gegenseitig in die Pfanne, leiht sich das vergessene Salz beim Nachbarn und hilft dafür mit einem Esslöffel Öl aus. Sehr kontaktfördernd.

Die Kinder von Bullerbü in Liliput

Langeland ist auch ein liebliches Land. Ein niedliches. «Ein grosses Erlebnis im Liliputformat», liest man im Reiseführer. Uns dünkt an jedem Häuserhäufchen, durch das wir radeln, die Kinder von Bullerbü müssten gleich um die Ecke springen. Lasse, Bosse und Britta naschten von den kleinen Erdbeeren, die es noch mitten im Sommer in vielen Hofläden frisch zu kaufen gibt, sie sprängen durch das hohe Gras, pflückten Wildblumensträusse für Grossmutter und versteckten sich zwischen den Fachwerkhäusern, deren Strohdächer fast bis an den Boden reichen.

Uns gefällt das: Man gondelt durch die Gegend, jedes der Strässchen führt an eine schöne Ecke, es spielt, weil die Welt hier klein ist, keine Rolle, ob wir die Abzweigung links- oder rechtsrum nehmen; mal bläst uns der Wind in den Rücken, mal nimmt er uns den Atem. Und am Abend fotografieren wir die Sonne, wie sie im Meer versinkt.

Begonnen hatte unsere Tour eine Woche zuvor in Kopenhagen. Die Hauptstadt ist der ideale Ausgangspunkt für eine Veloreise durch Dänemark. Gut erreichbar mit dem Nachtzug und ohnehin ein Muss für unsereins, die wir so gerne Velo fahren. Wir schalten einen Tag vor und hängen einen dran – einfach um mal zu geniessen, dass hier das Velo Vorfahrt hat. Aber Achtung: Immer schön rechts fahren! Und mutig klingeln, wenn sich Fussvolk in den Weg stellt.

Jesper Pørksen, Tourismusverantwortlicher des Danish Cyklist Forbundet, der dänischen Pro Velo, hatte uns eine Runde im Uhrzeigersinn empfohlen: Erst südwärts auf der Route des Fernradwegs Berlin-Kopenhagen, dann der Reihe nach die Inseln Møn, Falster, Lolland dann, Langeland und Fünen, schliesslich über Odense, die Stadt des Märchendichters Hans Christian Andersen, zurück nach Kopenhagen.

Das glücklichste Volk auf Erden

Das wären um die 900 Kilometer gewesen. So viel schaffen wir nicht in knapp zwei Wochen. Weil es zu viele schöne Ziele gibt, aber zu wenig Ferientage, machen wir es wie an der Tour de France und lassen uns zwischen zwei Etappen chauffieren. Auf Falster und ab Svendborg zurück nach Kopenhagen steigen wir in den Zug: Das geht flink und kostet wenig. Ohnehin gibt es Möglichkeiten ohne Ende, Dänemark auf dem Velo zu erleben: 12‘000 Kilometer Radwege sind in diesem Land ausgeschildert, und vielleicht gelten die Dänen deshalb als das glücklichste Volk auf Erden, weil sie so viel Velo fahren. Britische Forscher, die vor einigen Jahren eine «Weltkarte des Glücks» zeichneten, setzten sie jedenfalls auf Platz 1 in dieser Hinsicht, noch vor den Schweizern.

Die Wissenschaftler hatten recht. Als wir bei Sandvig, an der Seeländischen Ostküste, die Landschaft fotografieren, spricht uns eine Bäuerin an. Sie sagt, sie sei «so happy», hier zu leben. Als sie erfährt, dass wir aus der Schweiz kommen, erzählt sie von ihrer Reise dorthin vor zwei Jahren und fügt an, Switzerland sei «so beautiful». «Yes», antworten wir, Dänemark aber auch, wir sind uns einig, strahlen uns an und lachen.

Glasklare Weitsicht

Wir treten am ersten Tag, unmittelbar der Ostsee entlang pedalend, zwar kräftig gegen den Wind und lassen und von einem heftigen Gewitter unter ein Vordach treiben. Am Abend meint die Zeltplatzfrau in Strøby mit Blick auf die vielen freien Plätze, dieser Sommer sei «awful». Scheusslich. Kalt. Und der letztjährige sei nass gewesen. Ihr allerdings können wir nicht beipflichten, denn ab Tag zwei zeigt sich Dänemark von seiner schönsten Seite: strahlend blauer Himmel mit Wolken, die im Wind Fangen spielen, tiefblaues Wasser, die Kornfelder sattgelb und Wiesen grün, die Weitsicht glasklar.

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Ein sanfter Wind, die Sonne warm, das Meer in Sichtweite: So lässt sichs wunderbar pedalen. Auf der Insel Langeland in Dänemark.

Wir geniessen sie an der Steilküste von Stevns Klint, indem wir hier auf den 27 Meter hohen Leuchtturm steigen. Vor sechzig Jahren wurde in den Kreidefelsen von Stevns eine atombombensichere Festung errichtet, weil die Nato von hier aus die südliche Einfahrt zum Øresund, die Meerenge zwischen Dänemark und Schweden, bewachen wollte. Die 1.6 Kilometer langen unterirdischen Gänge können heute besichtigt werden.

In Praesto, am Abend, springt ein Junge am Abend kopfüber ins kalte Ostseewasser. Auf 16 Grad schätzt es seine Mutter; in einem warmen Sommer werde es höchstens 19, 20 Grad.

Wir frösteln beim blossen Zuschauen und geniessen den Sonnenuntergang im Faserpelz. Diesen halten wir, unter den Schletzgummi geklemmt, stets parat: Guckt die Sonne vom blauen Himmel, pedalen wir kurzärmlig, schieben sich Wolken vor sie, wärmen wir uns selbst. Ein munteres Wechselspiel ist das. Es regnet indes nie am Stück, überhaupt nur einen Tag und dunkle Wolken schubst der Wind ebenso schnell weg wie sie aufgezogen sind. Es gibt da keine Berge, an denen sie kleben bleiben.

Über das ständige Geblase kann man sich nerven. Hilft aber nichts. Jesper Pørksen bezeichnet den Wind als «Herausforderung». Ihm pflichten wir bei. Sich deswegen von Veloferien in Dänemark abhalten zu lassen, wäre jammerschade. Man müsse die Tour eben flexibel planen, meint er, um nicht lange Strecken im Gegenwind fahren zu müssen. Der kurzen Wege und fehlender Steigungen wegen und weil die Strassen und Strässchen so sicher seien, eigne sich Dänemark sogar für Veloferien mit Kindern sehr.

Velowege, Velowege, Velowege

Stimmt. Erstens wellen sich die gut gekennzeichneten Radrouten so sanft durch die Landschaft, dass man die zurückgelegten Kilometer bestimmt nicht schon vor dem Tagesziel spürt. Die Velowege führen durch ein Land, das hier von der Landwirtschaft geprägt ist, vorbei an grossen Höfen und durch Weiler, wo Rentner die riesigen Rasenflächen um ihre rostroten Backsteinhäuschen mähe und es Platz genug gibt, die Bäume bis in den Himmel wachsen zu lassen. Zweitens kann mir der Wind schon nach der nächsten Strassenbiegung vom Gegner zum Freund werden: Heissa, geht das flott voran, wenn er mir unversehens den Rücken stärkt. Drittens erweist sich unsere Route als so kurzweilig wie das Wetter.

Es hat indes so viele Velowege, dass man sich davon auch verwirren lassen kann.

«Køge 19 km» lesen wir an einem Nachmittag, «Køge 29 km» eine Stunde später, und als wir uns nach der Zvieripause unversehens auf einer vierspurigen Schnellstrasse finden, sind es immer noch 18. Dieser haben die velofreundlichen Dänen dafür links und rechts einen abgetrennten Veloweg verpasst, der so breit ist wie die Güterstrasse zu einem Entlebucher Bauernhof.

Kreide von den Klippen

Auf der kleinen Insel Møn tauchen wir in die Urgeschichte ein. Im äussersten Osten befindet sich die steile Kreideküste Møns Klint, ein Anziehungspunkt für den Tourismus, der aber keineswegs überlaufen ist. Møns Klint ist mit fast 130 Metern die höchste Steilküste Dänemarks. Die Klippe, eine Kalksteinwand, ist 6 Kilometer lang und entstand vor rund 70 Millionen Jahren. Steile Stiegen führen an die Küste, von der alle paar Jahrzehnte ein Stück abbricht. Zuletzt, im Januar 2007, waren es eine halbe Million Tonnen Kreide – der schwerste Absturz seit 50 Jahren, ist nachzulesen.

Wir schauen, dass uns nichts auf den Kopf fällt und sind beeindruckt von den hellen, weichen Felsen. Wer sich hinsetzt, macht sich die Hosen weiss. Unsere Eltern hätten von hier ein Stück Schreibkreide mitgenommen, um damit zuhause im Schulzimmer die Tafel zu beschmieren. Ihre Grosskinder dagegen müssen Herrn Google fragen, wie eine Schiefertafel aussieht.

Durchs Fuchstor auf die Insel Nyord

Einen Nachmittagsausflug wert ist auch die kleine, nördlich der Insel Møn vorgelagerte Insel Nyord mit ihrem Bilderbuchdörfchen, ein Ballenberg im Kleinformat samt unübertrefflichem Früchtekuchen im Sommercafé. Nachts kehrt hier früh Ruhe ein. Das Eiland steht unter Naturschutz; seine Salzwiesen sind ein wichtiges Rückzugsgebiet für Zug- und Watvögel. Als vor gut 40 Jahren eine Brücke von Møn her gebaut wurde, entdeckten diese alsbald auch die Füchse und bedrohten den Bruterfolg. Nun hält zwischen 22 und 7 Uhr ein «Fuchstor» die ungebetenen Gäste fern.

Andere Brücken in Dänemark haben andere Geschichten zu erzählen. Weil das Land ein Inselstaat ist, führt jede Veloroute irgendwann übers Wasser, und das sind spannende Abwechslungen. Mit der Gegenwind-Strampelei über den Damm von Møn nach Bogø verdienen wir uns die Überfahrt mit der kleinen Fähre gleich anschliessend nach Stubbekøbbing. Kurzer Regen hat die Luft reingewaschen, die Farbenpracht ist intensiver denn je; die Sonne spiegelt sich in der Gischt. Auf Brücken wie derjenigen von der Insel Langeland hinüber nach Svendborg wiederum fühlt sich der Radler während 770 Metern als erhabener König der Landstrasse: Er pedalt auch hier auf einem von der Strasse abgetrennten, sicheren Veloweg, kann jederzeit anhalten und den 26 Meter unter ihm durchschippernden Seeleuten zuwinken.

In der Seefahrerstadt Svendborg ist für uns Endstation. Beim Museumshafen beschliessen wir unsere Dänemark-Runde bei frischem Fisch über die Gasse. Anderntags bringt uns der Zug in zwei Stunden zurück in die Hauptstadt. Eine zweite Runde Sightseeing per Pedalkraft muss hier sein. Dann heisst es: Ab ins Bett! Der Liegewagen schaukelt uns in den Schlaf, am anderen Morgen erwachen wir in Basel.

[blue_box]Auf einen Blick: Dänemark ist ein Paradies für alle, die gerne mit dem Velo unterwegs sind. Es gibt überall gut ausgebaute und beschilderte Veloverbindungen. Kopenhagen bietet sich als Ausgangspunkt an, weil die Hauptstadt mit dem Nachtzug ab Basel leicht erreichbar ist. Die beschriebene Route ist eine von dutzenden Möglichkeiten. Sie führt auf der Insel Seeland südwärts auf dem Berlin-Kopenhagen-Fernradweg, auf die Insel Møn mit ihren Kreideklippen, danach via Falster, die Insel Langeland und Svendborg zurück nach Kopenhagen; insgesamt rund 550 Kilometer. Aus Zeitgründen war auf Falster und ab Svendborg Umsteigen auf den Zug angesagt: kein Problem in Dänemark und eine leichte Möglichkeit, eine «grosse Runde» zu schaffen. Die grossen Brücken von Insel zu Insel und die Fähren sind spannende Erlebnisse. Strassen und Strässchen sind in diesem Teil Dänemarks flach bis wellig, es windet jederzeit aus allen Richtungen, ein «Fasi» gehört auch im Sommer zum Gepäck.
Ideale Reisezeit:Sommer
Anreise: Mit dem Nachtzug (City-Night-Line) in gut 16 Stunden von Basel nach Kopenhagen – eine lange Fahrt, aber im Schlafwagen beginnen die Ferien schon am Bahnhof. Ein Abenteuer für Kinder! Kosten für zwei Erwachsene und zwei Kinder unter 16 Jahren im Sechser-Abteil plus Velos hin und zurück rund 550 Franken (Frühbucher, Halbtax, Juniorkarten).
Übernachten: Jugendherbergen, Zeltplätze, Gästezimmer – breites Angebot für jedes Budget.
Karten: Die Velokarten des Dansk Cycklist Forbund (DCF) sind in der Schweiz über den Buchhandel erhältlich. Die Website www.cyklistforbundet.dk gibt dazu Auskunft. Unter www.cyclistic.dk bietet der DCF auch einen Web-Tourenplaner an.[/blue_box] [button link=“https://www.velofahrer.ch/wp-content/uploads/2014/07/2014_04_velojournal_reise_daenemark.pdf“ color=“blue“]Hier den Artikel im PDF-Format herunterladen[/button]
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