Man kann das Velo als Gebrauchsgegenstand bezeichnen. Oder aber als «ein Stück materialisierte Kultur», wie es der Autor und Fotograf Thomas Bochet nennt und es um Velos geht, wie sie der Zürcher Rahmenbauer Röbi Stolz auf die Strasse bringt. Velos auf Mass als das «Resultat einer persönlichen Interaktion zwischen individuellen, greifbaren Menschen» (Bochet). Die den Anspruch von Stolz, ein Fahrrad solle seinem Besitzer, seiner Besitzerin «ein persönliches Transportmittel für Erlebnisse sein», bestmöglich erfüllen.
«Eine Reduktion der Bedürfnisse»
Röbi Stolz (58) betreibt sein Handwerk seit nunmehr 35 Jahren. Aus diesem Grund hat er den Historiker und Velografen Thomas Bochet auf eine Reise geschickt. 39 Tage und über 4000 Kilometer pedalte Bochet durch Europa und besuchte dabei 12 Rahmenbauer und 1 Rahmenbauerin. Die Abfolge von deren Porträts und der Erfahrungen des Autors unterwegs verdichten sich im Buch «Von Menschen und Rädern» zur Bestätigung der eigenen, zu meiner Empfindung, was es ausmacht, mit dem Velo unterwegs zu sein. Bochet, der sich als «Vorüberziehenden» sieht, schreibt: «Die Fortbewegung auf zwei Rädern begünstigt eine Reduktion der Bedürfnisse und Wahrnehmungen auf die wesentlichen Aspekte des Alltags: Begegnungen mit Menschen, Tieren und Landschaften, Essen und Schlafen, Wetter und Witterung, Strassen und Verkehr sowie die Konfrontation mit sich selbst und den Grenzen des eigenen Körpers.» (S. 13)
Bochet setzt diese Reduktion auch sprachlich um, ob bewusst oder unbewusst; seine einfachen Sätze fliessen wie fortwährendes Pedalieren. «Die Bewegung ist meine Konstante» (S. 178) schreibt Bochet; was er will, ist, «den Rhythmus meines Handelns und Denkens durch Körper, Raum und Zeit bestimmen [zu ] lassen.» Das Fahrrad seit das ideale Instrument dazu, «denn es zwingt zum Antrieb aus eigener Körperkraft und koppelt die Gedanken unmittelbar mit den Beinen und der Umgebung.» (S 28)
Das lässt sich kaum schöner ausdrücken. «Von Menschen und Rädern» ist eine unbedingte Leseempfehlung für Velophile.
[blue_box]Thomas Bochet: «Von Menschen und Rädern. Eine Radreise in die Welt des Rahmenbaus», Maxime-Verlag, Bern, 2019, 288 Seiten; 241 Fotos, 19,00 x 15,00 cm, fadengeheftete Steifbroschur mit aufgesetzten Deckeln, Fr. 42.00; ISBN 978-3-906887-11-1[/blue_box]35 Jahre Fahrradbau Stolz: Der Velofahrer hat aus diesem Anlass Röbi Stolz einige Fragen gestellt.
Wie bist du zum professionellen Rahmenbauer geworden?
Röbi Stolz: Alles fing 1982/83 mit einem Strassentheaterprojekt an. Für dieses bauten Freunde und ich verschiedenste Zweiräder, Dreiräder und andere Velos um oder neu. Daraus entstand die Idee, selber Velos zu bauen. So unterstützte ich 1983 Andreas Nägeli bei der Gründung des «Velolabor» in Zürich und baute dort als sein erster Mitarbeiter Velos zusammen, aber noch keine Rahmen. Doch meine hohen Ansprüche an die Qualität und die kreativen Ideen von Andreas liessen sich oft nicht unter einen Hut bringen. So verliess ich im Sommer 1983 seine Werkstatt und gründete am 1.Februar 1984 meine eigene. Mit dem Rahmenbau begann ich im gleichen Jahr. Dieser alleine hätte aber nicht für genügend Umsatz gesorgt, schliesslich müssen wir von unseren Handwerk leben. Es brauchte deshalb auch eine Reparatur- und Service-Abteilung. Die Rahmenbaukurse drängten sich dann so um 2010 auf, da immer mehr Kunden nach einer solchen Möglichkeit gefragt hatten. So haben wir heute folgende Geschäftsfelder: Fahrradbau nach Mass, Rahmenbaukurse, Reparatur und Service sowie Entwicklungen für Auftraggeber.
Wie viele Velos verlassen jährlich eure Rahmenschmiede?
Seit etwa zehn Jahren verkaufen wir jedes Jahr teurere und aufwändigere Fahrräder. Der Durchschnittspreis hat sich um mehrere tausend Franken erhöht. Da ich seit einiger Zeit versuche, nicht noch mehr zu arbeiten, war es unumgänglich, die Stückzahl etwas zurückzufahren. So liefern wir im Moment so zwischen 25 und 35 massgebaute Fahrräder pro Jahr aus. Die Stückzahl könnte zukünftig noch weiter sinkend, da ich es noch etwas ruhiger angehen möchte und mein Rahmenbau-Buchprojekt einmal zum Abschluss bringen möchte. Ich bin da unterdessen bei über 350 Seiten…
Worum geht es dir als Rahmenbauer?
Der Kunde steht im Vordergrund. Unser Bestreben ist es, ihm das Fahrrad zu bauen, das seinen Wünschen und Bedürfnissen am besten entspricht. Den typischen Kunden, die typische Kundin gibt es nicht. Wir bauen ja alle möglichen Fahrräder
An wen ging damals das erste massgefertigte Velo? Gibt es dieses noch?
An den nachmaligen Gründer des ersten Touren- und Alltags-Velo-Bestandteile-Versandhändlers in der Schweiz. Er liess sich ein für damalige Verhältnisse absurd teures Velo mit allen erdenklichen Schikanen von mir bauen. Das Velo mit der Rahmennummer 001 gibt es noch, aber nicht mehr im Besitz des damaligen Käufers.
Wenn du vergleichst mit der heutigen Kundschaft: Wie hat sich diese verändert?
Die Bereitschaft, für ein gutes Velo einen sehr hohen Betrag auszugeben, ist massiv gestiegen, umgekehrt aber deutlich gesunken, am Velo aber noch etwas selber zu reparieren.
Ist der Custom-Rahmenbau immer noch ein Nischengeschäft?
Er ist und wird immer ein Nischengeschäft sein.
Welche Rolle spielt der Preis? Meine Erfahrung: Wenn ich sage, wie viel mein Pinion-Tourer gekostet habe, machen manche grosse Augen. Wenn ich dann dagegen halte, dass dies immer noch weit weniger sei als ein gutes Occasion-Auto, zucken sie mit den Schultern.
Das verhält sich bei uns nicht gross anders. Dieses Dilemma bleibt so. In anderen Bereichen verhält es sich aber nicht anders.
Merkst du als Rahmenbauer die heute doch höhere Sensibilisierung fürs Velo im Geschäft? Spürst du politische Diskussionen wie etwa rund um die «Velo-Initiative»?
Es ist heute sicher einfacher, ein teures Velo an den Mann, die Frau zu bringen. Das hat aber nur begrenzt mit der Sensibilisierung oder mit der «Velo-Initiative» zu tun. In unserem Bereich ist die Bereitschaft vor allem deshalb grösser, mehr Geld auszugeben, weil ein Teil unserer Kundschaft nach mehr Sinn im Leben sucht und persönlich beratem werden will. Sicher hilft auch mit, dass es den Schweizern wirtschaftlich schon längere Zeit sehr gut geht.
Die Klimadiskussion müsste eigentlich helfen.
Davon merken wir in unserem High-End Bereich nicht.
Das Velo wird zunehmend elektrifiziert, nicht nur beim Antrieb –und digitalisiert. Wie geht Stolz damit um?
Wir verbauen schon seit einiger Zeit elektronische Schaltungen, bauen USB-Ports ein oder rüsten die Velos mit einem versteckten GPS Sender aus, dass sie im Fall eines Diebstahls wieder aufgefunden werden können. Auch hier kann und will ich mich nicht vor Neuem verschliessen.
Thomas Bochet stellt im Buch «Von Menschen und Rädern 13 Rahmenbauer vor. Nach welchen Kriterien hast du diese ausgewählt?
Die Auswahl hat mich einige Zeit gekostet. Vor allem deshalb, weil die europäischen Rahmenbauer oft auf Mails nicht antworten oder auf Anfragen anderer Rahmenbauer eher kritisch reagieren. Ich wollte mit den 13 gewählten einen Querschnitt durch alle Varianten des Rahmenbaus aufzeigen, es waren mir aber Grenzen gesetzt in der Anzahl und im Ablauf der Reise.
Wie viele Rahmenbauer gibt in Europa? Sind sie vernetzt?
Im deutschsprachigen Raum Europas sind im Moment etwa 45 Rahmenbauer über eine E-Mail-Liste verlinkt. Wir haben uns vergangenen Winter zum ersten Mal für ein Wochenende getroffen und Ideen und Meinungen ausgetauscht. Gesamthaft gibt es sicher weit über 200 in ganz Europa, die ab und an etwas bauen oder den Rahmenbau professionell betreiben.
1 Kommentar
lieber dominik,
du hast meine idee betreff des buches und die art und weise von thomas perfekt getroffen!
mit grüssen
röbi