Das Velo ist das einzige Verkehrsmittel, bei dem die Liebe stets mitfährt: Love! Nora Ryser ist die einzige Veloflick-Autorin, die zeichnet, nicht fotografiert: love it! Die leidenschaftliche Alltagsvelofahrerin und ebensolche Illustratorin hat mit dem «Veloflickbuch» eine Anleitung herausgegeben, die «dabei helfen soll, im Veloalltag unabhängig und selbständig zu sein», wie sie in der Einleitung schreibt. Dahinter steht die Haltung: Velo flicken geht auch ohne Hochglanz und Internet. Velo fahren ist nicht bloss Ferien und Freizeit, sondern Alltagsfreude, gepaart mit Vernunft. «Das Velo bringt mich überall hin, schnell, bequem und erst noch umweltfreundlich», schreibt VCS-Präsidentin Evi Allemann im Vorwort.
Veloflicken ist, eigentlich, simpel
Auf 40 Seiten breitet Nora Ryser (*1994, Bern) aus, wie wenig es braucht, um auf zwei Rädern in Fahrt zu bleiben. Putzen, ölen und Kette pflegen, Schaltung und Bremse warten, Sattel und Lenker auf die Körpergrösse einstellen, Gepäckträger, Lenkerkorb und Licht anbringen, ein Loch im Schlauch flicken: geht alles mit ein bisschen Werkzeug (was, buchstäblich, ebenfalls aufgezeichnet wird) doch eigentlich simpel.
Der französische Schriftsteller Maurice Leblanc schwärmte 1898 von der Leichtigkeit des Unterwegsseins auf zwei Rädern. Das Fahrrad verberge nichts, «seine Bewegungen sind klar zu erkennen, bei ihm sieht und begreift man die Kraftentfaltung, es gibt seine Absicht bekannt, es sagt, dass es sich schnell, geräuschlos und leicht bewegen will.» Nora Rysers Illustrationen sind die zeichnerische Umsetzung dieser technischen Bescheiden- und aber Vollkommenheit.
Gebrauchsspuren erwünscht
Für die Werkstatt ist das «Veloflickbuch» im Grunde zu schade – aber es ist natürlich nicht fürs Büchergestell bestimmt, sondern dazu, mit einigen Gebrauchsspuren noch an persönlichem Wert zu gewinnen: Karrenschmiere-Fingerabdrücken und schwarzen Eselohren. Mamis und Papis erzählen den Sprösslingen anhand des «Veloflickbuchs» vorm Einschlafen von ihren damaligen Abenteuern auf zwei Rädern (so hätt’ ichs vor 20 Jahren wenigstens getan), Grossmami erklärt der Enkelin, wie das damals mit dem Rockschutz auf ihrem erster Dreigänger war und Opa, wie er die Rücktrittbremse bei jeder Passfahrt überhitzte. Am andern Morgen werkeln dann drei Generationen miteinander im Velokeller, bevor sie miteinander in die Badi fahren. Zum Beispiel. Denn: «Das Ziel ist, dass du gerne Velo fährst», schreibt Nora Ryser.
«Das einfachste Fortbewegungsmittel»
Das dieser Tage erschienene «Veloflickbuch» ist im Rahmen von Nora Rysers Abschlussarbeit an der Hochschule Luzern entstanden, wo sie 2016 mit dem Bachelor in Illustration abschloss. Der Velofahrer hat ihr einige Fragen gestellt.
Weshalb hast du deine Bachelor-Arbeit dem Velo gewidmet?
Ich komme aus einer Velofamilie. Das heisst: ich bin leidenschaftliche Alltagsvelofahrerin. Es gibt aber viele Leute in meiner näheren und weiteren Familie, die Rennen fahren und Fahrräder reparieren – das Velo hat mich also von klein auf begleitet und fasziniert als einfachstes Fortbewegungsmittel.
Gab es schon damals die Idee, aus der Arbeit ein Buch zu machen?
Für mich war von Anfang an klar, dass ich mein Studium mit einem Buch abschliessen wollte. Bücher sind meine Leidenschaft und umgeben mich seit Kindsbeinen; meine Mutter ist Buchhändlerin mit eigenem Laden in Bern. Somit war meine Abschlussarbeit eigentlich die Symbiose zweier Leidenschaften.
An wen richtet sich das Buch?
Ursprünglich war das Buch als Veloflickbuch für Mädchen konzipiert. Ich finde es haarsträubend, dass jegliche technische Themen nach wie vor Jungs zugeschrieben werden. Später im Prozess entschied ich mich dagegen, so eindeutig und im Titel vermerkt nur Mädchen anzusprechen. Es kam mir subversiver vor, alle anzusprechen, aber im Buch nur Mädchen zu zeigen. Somit kann ich auch Jungs vermitteln, dass technische Angelegenheiten nicht geschlechtsspezifisch sind.
Ist, nebst der Anleitung zum Flicken, eine weitere Absicht mit dem Buch verbunden – etwa, dass die Kinder wieder mehr Velo fahren?
Ich glaube nicht, dass Kinder heute weniger Velofahren als früher – es ging mir also nie um ein «Wieder mehr Velo fahren». Natürlich aber steht die Absicht dahinter, dass Velofahren Freude bereiten soll. Ein weiterer Aspekt, der mir wichtig war, ist die DIY-Kultur (Do it yourself). Sie entstand in den 1950ern und kommt aus dem Arts and Crafts Movement. In der DIY-Kultur geht es darum, weg von der Wegwerfgesellschaft zu kommen und vermehrt Bezüge zu Materialien und Handwerk herzustellen. Dieser Absicht liegt natürlich eine Kritik an unserem kapitalistischen System zugrunde.
Es heisst auf der hinteren Umschlagseite: «Nervst du dich auch, wenn dein Papa dir den Schraubenzieher oder die Velopumpte aus der Hand nimmt, weil er denkt, dass er es besser kann oder weil er dir einfach nur helfen will?» Eine autobiografische Bemerkung?
Mein Papa ist ein leidenschaftlicher Handwerker, und natürlich hat er früher auch mein Velo geflickt. Ich habe ihm dabei meistens zugeschaut – und dabei auch gelernt. Wenn ich etwas selber machen wollte, hat er mich dabei unterstützt. In diesem Satz geht es also vielmehr um eine Kritik am Patriarchat. Ich meine damit: Mädels, wagt euch, nehmt es in die Hand, ihr könnt es, und lasst euch nicht einschüchtern von den Männern, die meinen, es besser zu können!