Der Bundesrat will keinen gesetzlichen Mindestabstand beim Überholen von Velofahrern. Er sei sich zwar deren «besonderen Verletzlichkeit bewusst». Aber der Meinung, die geltende Regel genüge, um sie zu schützen. Die da lautet, wir zitieren Artikel 35 des Strassenverkehrsgesetzes: «Wer überholt, muss auf die übrigen Strassenbenützer, namentlich auf jene, die er überholen will, besonders Rücksicht nehmen.»
Die Landesregierung bremst damit Nationalrat und Pro-Velo-Präsident Matthias Aebischer (SP, Bern) aus, der in einer Interpellation1 die Regierung gefragt hatte, ob er die Ansicht teile, „dass von zu nahe überholenden Fahrzeugen für Velofahrende eine besondere Gefährdung ausgeht“. Jeder zehnte Velounfall passiere, wenn Velofahrende von anderen Fahrzeugen überholt oder passiert werden, schrieb Aebischer in seinem Vorstoss. Ohne konkretes Mass könnten die Vollzugsbehörden aber zu nahes Überholen nicht ahnden. Länder wie Portugal, Frankreich und Spanien hätten gehandelt und den Mindestüberholabstand im Gesetz festgelegt, weitere prüften dies.
Die Radstreifen genügen dem Bundesrat
Das schert den Bundesrat freilich nicht. Das Bundesgericht habe sich schon mehrfach mit den Seitenabständen beim Überholen von Velofahrenden beschäftigt, und die Rechtsprechung lege sich nicht auf einen konkreten Mindestabstand fest. Dies erachtet der Bundesrat als sinnvoll, „zumal dessen Einhaltung schwierig zu kontrollieren wäre“, wie es in der Antwort auf die Interpellation heisst. Der gebotene Abstand beim Überholen von Fahrrädern sei „von Fall zu Fall und unter Einbezug der konkreten Umstände zu beurteilen“. Er ist ohnehin der Meinung, „dass die markierten Mindestbreiten von Radstreifen eine Sensibilisierung für die Gefahr des zu nahen Überholens bieten“. Verkehrsteilnehmende würden mit der visuellen Markierung auf einen minimalen Abstand sensibilisiert.
Pro Velo bedauert in ihrer Stellungnahme die Haltung des Bundesrats. Die Markierung von Radstreifen genüge nicht für die Sensibilisierung. „Erstens sind diese noch lange nicht flächendeckend angebracht. Und zweitens zeigt die Erfahrung, dass Überholmanöver trotzdem oft zu knapp erfolgen, weil die Radstreifen zu schmal sind“, heisst es in der Medienmitteilung. Pro Velo Schweiz hält deshalb an einem gesetzlichen Überholabstand von 1.5 Metern fest, wie es die Delegierten in einer Resolution vom letzten November forderten. Das selbe Ziel verfolgt die von der Pro Velo Thurgau angestossene Kampagne «Abstand ist Anstand».
Drei Nachbemerkungen
- Dem Bundesrat ist beizupflichten: Der gebotene Abstand beim Überholen von Velofahrern muss „von Fall zu Fall und unter Einbezug der konkreten Umstände“ beurteilt werden“. Schliesslich stürzen Velofahrer bei solchen Überholmanövern ja nur von Fall zu Fall und bei konkreten Umständen.
- Im Bundesrat pendelt vermutlich niemand mit dem Velo zur Arbeit.
- Nationalrat Aebischer könnte es mit der umgekehrten Forderung versuchen, die Velofahrenden auf einen Mindestabstand beim Überholen von Autos zu verpflichten. Mit der Konsequenz selbstredend, den Strassenraum so aufzuteilen, dass unsereins solche autoschützenden Überholmanöver im Feierabendstau auch möglich würden…
1 Mitunterzeichnet von sieben Nationalrätinnen und -räten der SP, CVP, FDP, GLP, BDP, GP und SVP
1 Kommentar
Ja, so ein Bild wie das hier
https://tns.world/picture-of-netherlands-pm-riding-bicycle-to-meet-the-king-goes-viral/
werden wir in der Schweiz wohl nie sehen. Den sieben Damen und Herren würde mal eine Velofahrt zur Stosszeit in einer Stadt gut tun (und kein lauschiges Bundesratsreisli auf abgelegten Velowegen im Emmental…)