Corona ist im Velofahren wenig ausdauernd

«Corona macht die Schweiz zum Velo-Land» titelte der «Tages-Anzeiger vor zwei Wochen. Eine Studie der ETH Zürich hatte gezeigt, wie der Aufruf, wegen der Corona-Pandemie zuhause zu bleiben, dem Velo zu Rückenwind verhalf. Inzwischen flaut dieser aber bereits wieder ab. Das Velovirus hat Corona nicht wirklich gepackt.

Die Mobis-​Covid-19-Studie (*), wie das Forschungsprojekt heisst, will darstellen, wie die Krise das tägliche Leben und die Mobilität in der Schweiz beeinflusst. Das erste Ergebnis, das gegen Ende April Eingang in die Medien fand: Die Tagesdistanzen der Pendlerinnen und Pendler waren ab Mitte März stark gesunken, als der Lockdown in Kraft trat, das Velo als Verkehrsmittel hatte zulasten von Auto und öffentlichem Verkehr enorm zugelegt. Das zeigt diese Grafik:

Die Corona-Pandemie hat die Studienteilnehmer verstärkt zum Velofahren gebracht. Die Kurve fällt allerdings schon wieder. | Bildschirmaufnahme der Studienwebsite

Die Grafik markiert klar den Boom in den Wochen vor Ostern, aber auch, dass dieser bereits abebbt. Mit der allmählichen Lockerung der Vorschriften legt insbesondere das Auto wieder zu. «Velojournal»-Herausgeber Pete Mijnssen fragte schon in einem Blogbeitrag am 1. Mai, wie lange der Rückenwind für das Velo anhalte. Seine Befürchtung für die Zeit nach der Öffnung: «Aus Angst vor Maskenpflicht und engen Platzverhältnissen werden viele Personen den ÖV meiden, hingegen wird sich in nächster Zeit ein veritabler Autoboom einstellen und die Strassen mit Verkehr füllen.»

Mijnssen dürfte recht behalten. Die Branche übt sich zwar in Optimismus: Der Velohandel werde gestärkt aus der Krise hervorgehen, sagte Velosuisse-Präsident Marcel Boller in deinem «velojournal»-Interview vergangene Woche. Und Geschäftsführer Martin Platter doppelte nach: «Am Fahrrad als Verkehrsmittel führt in der heutigen Zeit kein Weg mehr vorbei».

Zumindest Letzteres stimmt zwar. Es stimmt aber auch, wenn Pete Mijnssen von einer «verpassten Chance für eine Velo-Offensive nach Corona» spricht. Die Velobranche hätte, zusammen mit anderen Anbietern nachhaltiger Mobilität und im nicht pharmagesteuerten Gesundheitswesen, den Menschen das in Erinnerung rufen können, was sie nicht nur gesund erhält, sondern gar nicht erst krank macht: Bewegung, frische Luft und seelische Gesundheit. All dies ist, unter anderem, velofahrend zu erlangen. Ohne Nebenwirkungen.

Corona ist freilich auch ein Geschäft. Massnahmen, die nichts kosten, schlagen sich nicht in Bilanzen nieder. Es gibt Branchen, die daran kein Interesse haben.


(*) Die Mobis-​Covid-19-Studie, wie das Forschungsprojekt heisst, will darstellen, wie die Krise das tägliche Leben und die Mobilität in der Schweiz beeinflusst. Sie ist eine Weiterführung der ursprünglichen Mobis-Studie. Die Erklärung dazu (zitiert aus der Website zur Studie):

Am 16. März 2020 wurden 3700 Teilnehmer, die die Mobis-Studie zwischen September 2019 und Januar 2020 abgeschlossen hatten, eingeladen, die [dazu] entwickelte Reisetagebuch-App erneut zu installieren, um ihr Mobilitätsverhalten während der Zeit der Massnahmen zur Kontrolle der Ausbreitung des Coronavirus aufzuzeichnen. Die ersten vier Wochen der Mobilitätsdaten aus der originalen Mobis-Studie werden für jeden Teilnehmer als Vergleichsgrundlage für die aktuellen Mobilitätsverhalten herangezogen. Diese vier Wochen beginnen je nach Teilnehmer irgendwo zwischen dem 1. September und dem 15. November 2019. 

Ansonsten und in eigener Sache: Dass die Aktion «bike to work», die gewöhnlich im Mai und Juni stattfindet, wegen der Corona-Pandemie auf September und Oktober verschoben werden musste, mutet wie ein schlechter Witz an. Während sonst alle paar Tage ein Termin oder sonstwas mich daran hindert, das Velo zur Arbeit zu nehmen, pedale ich derzeit lückenlos die 18 Kilometer büro- und gleich viel wieder heimwärts. Das macht ordentlich Freude.

Teile diesen Beitrag

Kommentar verfassen