Achtsam pedalieren mit Sankt Meinrad

Von Rottenburg am Neckar an den Bodensee und nach Einsiedeln: Der Meinradweg folgt den Lebensstationen jenes Heiligen, der am Anfang des grössten Wallfahrtsorts der Schweiz steht – Einsiedeln. Rund 300 Kilometer, die den Radpilger lehren, im Gewöhnlichen das Besondere zu sehen.

Als Meinrads Vater, der Legende nach aus der Familie der Grafen von Hohenzollern stammend, seinen Sohn zwecks höherer Bildung an die Klosterschule der Benediktinerabtei auf der Klosterinsel Reichenau im Bodensee schickte, waren Ross und Wagen sein Verkehrsmittel. Meines ist an diesem heissen Sonntagnachmittag ein überfüllter  Zug. Als ein etwa Fünfjähriger seinen Papa bittet, ihm einen Witz zu erzählen, wird es alsbald fröhlich im Veloabteil. Ich trage mit einem Flachwitz zur Kurzweil bei: Was sucht ein Keks im Sommer? Ein schattiges Plätzchen. Genau. Dann schlägt der Papa seinem Buben vor, herauszufinden, welches Velo denn welcher Person im Abteil gehören könnte. Worauf eine junge Frau, unterwegs in den Zoo Stuttgart, anhebt: Also das mit dem Helm gehört Helmut…

Pilgerfröhlichkeit schon auf der Anreise. Die zwei Stunden Verspätung, die ich bis Rottenburg einfahre, verwandeln sich solcherart in geschenkte Erinnerungen. Vor gut 1200 Jahren wurde Meinrad an diesem Ort am Neckar geboren. In der Sülchenkirche, wo eine lebensgrosse Statue an den Taufort des Heiligen erinnert, nimmt der Meinradweg seinen Anfang. Ich grüss‘ ihn und gönne mir in der Stadt ein Eis. Der Pilger achte auf ausgewogene Ernährung, rate ich mir selbst. Er stärke Seele und Leib gleichermassen. (Diesbezüglich glänzt das Kloster Fischingen, wo ich nach der vierten Etappe nächtige, mit einer eigenen Brauerei.)

Pater Philipps Geistesblitz

Der Meinradweg ist ein spiritueller Radweg auf den Spuren des heiligen Meinrad. Er beginnt im Süddeutschen, führt über die Schwäbische Alb an den Bodensee und endet, wo der Benediktinermönch um das Jahr 835 im Finstern Wald seine Klause erbaute und 861 von Wegelagerern gemeuchelt wurde. Dort entstand später ein Kloster und über die Jahrhunderte der grösste Wallfahrtsort der Schweiz, Einsiedeln. Er habe schon lange Fusspilgerwege nach Einsiedeln fördern wollen, sagt Philipp Steiner, der Wallfahrtspater des Klosters, in einem Interview mit der «Schweizerischen Kirchenzeitung». Dabei sei ihm der Meinradweg «als Geistesblitz fast ein wenig in die Quere» gekommen. Als er über einen Pilgerweg auf den Spuren des heiligen Meinrads nachgedacht habe, habe sich aus «Mein-rad» schon fast von selbst ein Fahrradpilgerweg ergeben. Der Meinradweg wurde schliesslich 2019 eröffnet.

Unbedingt sehenswert: das Münster St. Maria und St. Markus auf der Insel Reichenau. | 2022 Dominik Thali

«Pilgern ist seit jeher eine Möglichkeit, ganz neu und ‹anders› aufzubrechen; mit sich selbst, mit eigenen Fragen und Hoffnungen, mit der Schöpfung und Weggefährten und letztlich mit Gott in Berührung zu kommen», lese ich einem Prospekt, der mir im Kloster Hegne am Bodensee in die Hände kommt. Hier übernachte ich in einem Dachzimmer der Schwestern. Für Pater Philipp  «handelt es sich beim Radpilgern einfach um eine moderne Version des Pilgerns, das ja eine jahrtausendealte Tradition hat».

Eine Meinradelei

In Berührung mit Gott kommen? Wem das zu fromm klingt, der und die wird sich doch zumindest berühren lassen auf einer solchen Meinradelei. Ich versinke pedalierend in Gedanken – und bin zum Beispiel dankbar. Das hat vorerst nichts mit Glaube und Religion zu tun. Es ist mir vielmehr ein Bedürfnis. Je mehr ich danke, desto mehr freue ich mich daran, wofür ich danke. Meine Beine tragen mich. Mein Velo rollt rund. An Tag 2 fotografiere ich bei der Burg Hohenzollern ein Paar aus Spanien. Er bedankt sich mit den Worten: «Thank you, my friend.» Oder: Die Route führt mal wieder weg von der grossen Strasse und durch luftigen Wald. Im Kloster Beuron an der Donau schliesslich, wo ich dem Nachtgebet der Mönche lausche, lächelt mir der Pater zu, der sich am Ende mit dem Weihwasserwedel auch zum Volk wendet und mit dem Segen den Tag abschliesst. Ich bin der einzige Gast im Kirchenschiff.

Benediktinische Gastfreundschaft

Achtsamkeit lässt sich gut üben und er-fahren im Sattel. Dabei ist der Meinradweg ein recht gewöhnlicher Radweg. Aussergewöhnlich mache ich ihn mir erst selbst. Ich staune ob der Lieblichkeit der Landschaft. Ich setze mich für eine Weile in eine Kirchenbank. Zünde eine Kerze an. Gönne mir abends ein Grosses. Die Spätzle sind aus, aber die Maultaschen munden mir ebenso. Schönen Dank in die Küche! Über den Etzelpass, wenige Kilometer vor dem Ziel, stosse ich. Zu steil. Zu heiss. Mein Stossgebet hilft nichts. Das ist stossend. Oder aber vielleicht mein Glaube zu wenig stossfest. Dafür reisst auf halber Höhe meine rechte Sandale hinten. Ich lache. Zum Glück ist heute der letzte Tag.

Anstösse dazu, welche Gedanken sich man wozu auch noch machen könnte, liefern auch die zum Meinradsweg gehörende Website und der Pilgerführer in Buchform. Empfehlenswert ist zudem, die dort aufgeführten Übernachtungsmöglichkeiten zu nutzen. In Beuron etwa bei den Benedikinern im Kloster oder in Hegne in einem Pilgerzimmer der Schwestern. Es gibt dort keine Pflicht, vor dem Einschlafen zu beten. Jedoch freundliche Bewirtung und Kontake. In Kapitel 53 der Benediktsregel heisst es bei «Aufnahme der Gäste» unter Punkt 2: «Allen erweise man die angemessene Ehre, besonders den Brüdern im Glauben und den Pilgern.» So drückt mir im Abteihof des Klosters Einsiedeln Pater Lorenz Moser den letzten Stempel in den Pilgerpass, ehe es zurück in den Alltag geht.

Ich fahre den Meinradweg in viereinhalb Etappen: Von Rottenburg nach Hechingen, von Hechingen nach Beuron, von Beuron  nach Hegne am Bodensee, von Hegne nach Fischingen und von dort nach Einsiedeln. Das sind, mit ein paar Abstechern, rund 300 Kilometer und 3300 Höhenmeter. Auf der App Outdooractive sind die Etappen markiert und kann der GPX-Track heruntergeladen werden.

Fast geschafft: Der Velofahrer auf dem Etzelpass kurz vor Einsiedeln. Hier lebte der heilige Meinrad, bevor er weiter in den Finstern Wald zog, ins heutige Einsiedeln. | 2022 Dominik Thali
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